Ein „LEAN-Krankenhaus“ bedeutet nicht automatisch ein „digitales Krankenhaus“
Das Jidoka-Prinzip ist neben dem Just-in-time-Prinzip die zweite tragende Säule im Toyota-Produktionssystem. Die Grundidee beruht auf der Erfindung eines selbständig reagierenden Webstuhls.
Diese Erfindung wurde durch den Toyota-Gründer Toyoda Sakichi (1867–1930) gemacht. Seine Überlegung war ganz einfach: um eine 100%-ge Qualitätskontrolle und Vermeidung einer Verschwendung durch die automatischen Webstühle zu erreichen wurde ein Mechanismus entwickelt, der beim Abriss eines Fadens den Webstuhl stoppte.
Diese Qualitätskontrolle wurde somit in den Prozess eingebaut. Statt die Produktqualität nur am Ende der Produktion zu überprüfen, konnte eine schlechte Qualität in Form eines mangelhaften Stoffs vermieden werden.
Somit ist Jidoka ein kosteneffizienter Zwischenschritt auf dem Weg zum einer vollständigen Automatisierung bzw. Digitalisierung.
Das Kunstwort „Automation“
Autonomation ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den Begriffen „Automatisaton“ und „autonom“, und steht für eine „Automatisierung mit menschlichem Touch (oder Anlitz)“.
Darunter wird aber in die Prozesse eingebaute „Intelligenz“ verstanden. Dafür müssen Abläufe nicht nur stabil und standardisiert sein, sondern auch Kontrollpunkte sowie Managementpunkte enthalten. An den Kontrollpunkten werden Abweichungen festgestellt, die durch die Betätigung von Managementpunkten korrigiert werden können.
Jidoka als Reaktion auf die Automatisierung
Jidoka ist eine Antwort des führenden Autoherstellers auf die Bestrebungen einen Menschen in allen Bereichen durch die Maschinen bzw. durch die elektronische Systeme zu ersetzen.
Wenn ein Arbeiter mehrere Maschinen bedienen muss, ist er nicht in der Lage alle Geräte gleichzeitig zu überwachen. Das führt zwangsläufig zur mangelhaften Produktion und Verschwendung. Um das zu verhindern muss eine Maschine in die Lage versetzt werden Fehler selbständig zu erkennen. Tritt ein Fehler auf, muss ein Signal abgesetzt werden. (Intelligente Maschinen sollen außerdem in der Lage sein einfache Fehler selbständig zu beheben).
Annahmen, die Jidoka zugrunde liegen:
- Eine angeschaffte Maschine verursacht Kosten unabhängig davon ob sie gerade angesetzt wird oder nicht. Menschen werden für die tatsächlich erbrachten Leistungen bezahlt.
- Eine Maschine kann nur die Arbeit übernehmen, für die sie konzipiert wurde. Maschinen sind dadurch weniger lernfähig und flexibel einsetzbar als die Menschen
- Eine Maschine ist dem Menschen in der Routinearbeit überlegen, kann jedoch nicht adäquat auf die unerwartete Prozessabweichungen reagieren
- Ein Versuch einer Maschine menschliche Qualitäten „beizubringen“ ist sehr kostenintensiv, zeitaufwendig und nicht immer umsetzbar.
Daher postuliert Jidoka-Prinzip die folgenden Grundsätze:
- Man muss nur die Prozesse automatisieren, die bekannt, standardisierbar und gut modellierbar sind. Werden Prozesse mit vielen einzelnen Entscheidungen in einer flexiblen Umwelt automatisiert, wird es zwangsläufig zu einer Zunahme von nicht beherrschbaren Situationen und kritischen Fehlern führen.
- Die Automatisierung muss „intelligent“ sein. D.h.
jede Maschine im Arbeitsprozess soll ohne ständige
Beobachtung eines Bedieners produzieren und im Falle einer Abnormität, wie z. B. eines Werkzeugbruchs, selbstständig abschalten können. Dadurch werden keine defekten Produkte an den nachfolgenden internen Kunden weitergegeben.
Einsatz von EDV bringt nicht nur Vorteile
Eines der Zauberworte für ein Krankenhaus der Zukunft heißt „Digitalisierung“. Man kann lange diskutieren, wie dieser Begriff zu interpretieren ist.
Laut klassischer, kybernetischer Definition sind unsere Krankenhäuser schon längst digital.
Keiner benutzt eine analoge, durchgehende Fieberkurve. Stattdessen messen wir ein paar mal am Tag Fieber und verbinden diese Punkte in der Patientenakte mit Linien – also digitalisieren. Das Gleiche machen wir auch mit anderen Vitalparametern.
Viel mehr wird unter Digitalisierung eine Computerisierung verstanden – eben Ersatz menschlicher Mitarbeiter durch eine Software und/oder Hardware.
Oder, besser gesagt, Ersatz mancher Funktionen der Mitarbeiter…
Einsatz von EDV bringt aber nicht nur Vorteile. Wie oben formuliert – jedes EDV-System bringt einen sehr hohen Entwicklungs- und Pflegeaufwand mit sich. Es gibt kaum individualisierte Lösungen. Standardsoftware werden entwickelt. Sie werden im Besten Fall an die örtliche Gegebenheiten angepasst. Somit müssen die tatsächlicher Abläufe oft in die vorgegebene Software „eingepresst“ werden…
Mit entsprechenden Folgen für die Prozesse.
„Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.“
Thorsten Dirks, CEO der Telefónica Deutschland AG
Ich kann es etwas sanfter formulieren: durch die Digitalisierung machen Sie aus einem Prozess-Problem, ein EDV-Problem. Und das ist der Grund warum die EDV-Abteilungen irgendwann für die meisten Probleme im Krankenhaus verantwortlich gemacht werden….
Jidoka in der Medizin
Inzwischen sind Transport-Roboter, OP-Roboter und sogar Pflegeroboter entwickelt worden. Unit-Dose und Closed-Loop werden im Medikationsprozess eingesetzt. Die Krankenhäuser, Praxen und Pflegeeinrichtungen sollen digital miteinander kommunizieren. Befunde werden ortsunabhängig begutachtet…
Es entsteht das Gefühl, dass die Patienten bald durch die vorgewärmte Roboterhände von der Notaufnahme bis zur Entlassung getragen werden. Dabei werden durch unendlich viele Sensoren erfasste Daten jedem beteiligten Arzt zur Verfügung gestellt…
Das Ganze hat nur einen kleinen Hacken: elektronische Systeme werden voneinander unabhängig entwickelt und eingeführt. Es gibt keine einheitliche Spezifikation für den Behandlungsprozess, es gibt keine festen Kriterien für den Einsatz elektronischer Systeme.
An dieser Stelle kann Jidoka einen wichtigen Dienst leisten.
Schauen Sie oben das Bild an. Das Diagramm ist eine Teil meines Beitrags auf einer Fachkonferenz zum Thema „Digitales Krankenhaus“. Es handelt sich um keine empirische Daten, sondern um einen Versuch mittels Grafiken eine Idee darzustellen.
Es geht um den zunehmenden Einsatz elektronischer Systeme im Gesundheitswesen.
Im Diagramm werden die Fehleranfälligkeit von eingesetzter Systeme in Relation zu Komplexität von Aufgaben gesetzt. Es sit bekannt, dass Maschinen besser mit Routineaufgaben abschneiden und dazu noch deutlich schneller sein können, als die Menschen. Dafür können sie sich schlechter in einer ungewohnten bzw. unbekannten Umgebung orientieren und Probleme lösen. Daher braucht jedes digitales System einen Input um ihren Output zu produzieren.
Und genau hier entfaltet sich die ganze Macht von umgesetzten Jidoka: Stabile, standardisierte Prozesse mit fest und sinnvoll etablierten Kontrollpunkten können ohne großen Probleme digitalisiert und in die ganze „biologisch-digitale“ Landschaft integriert werden.
Nehmen wir als Beispiel unsere wunderbaren KIS-Systeme. Sie bilden alle komplexen Abläufe im Krankenhaus ab: von den Aufnahmedaten, Behandlungsdaten bis hin zur Abrechnung. Die wichtigste Entscheidung können diese Systeme einem Arzt jedoch nicht abnehmen – ob ein Patient überhaupt stationär aufgenommen werden muss.
Ein KIS kann keinesfalls das gesamte Leistungsspektrum abdecken, da in einem Krankenhaus neben einer rein stationären z.B. auch eine ambulante und eine vorstationäre Versorgung statt findet. Die Systeme wurden aber mal für die rein stationäre Behandlungen konzipiert. Daraus entstehen viele verwaltungstechnischen Probleme.
Hätte man bei der Entwicklung von KIS sich auf die echten Abläufe orientiert und im Voraus entsprechende Schnittstellen eingebaut, hätten die Krankenhäuser die für die Problemlösung eingesetzten Personalressourcen woanders brauchen können – z.B. in der Patientenversorgung.