Monat: April 2019

Jidoka – Automation mit menschlichem Anlitz

Ein „LEAN-Krankenhaus“ bedeutet nicht automatisch ein „digitales Krankenhaus“

Das Jidoka-Prinzip ist neben dem Just-in-time-Prinzip die zweite tragende Säule im Toyota-Produktionssystem. Die Grundidee beruht auf der Erfindung eines selbständig reagierenden Webstuhls.

Diese Erfindung wurde durch den Toyota-Gründer Toyoda Sakichi (1867–1930) gemacht. Seine Überlegung war ganz einfach: um eine 100%-ge Qualitätskontrolle und Vermeidung einer Verschwendung durch die automatischen Webstühle zu erreichen wurde ein Mechanismus entwickelt, der beim Abriss eines Fadens den Webstuhl stoppte.

Diese Qualitätskontrolle wurde somit in den Prozess eingebaut. Statt die Produktqualität nur am Ende der Produktion zu überprüfen, konnte eine schlechte Qualität in Form eines mangelhaften Stoffs vermieden werden.

Somit ist Jidoka ein kosteneffizienter Zwischenschritt auf dem Weg zum einer vollständigen Automatisierung bzw. Digitalisierung.

Das Kunstwort „Automation“

Autonomation ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den Begriffen „Automatisaton“ und „autonom“, und steht für eine „Automatisierung mit menschlichem Touch (oder Anlitz)“.

Darunter wird aber in die Prozesse eingebaute „Intelligenz“ verstanden. Dafür müssen Abläufe nicht nur stabil und standardisiert sein, sondern auch Kontrollpunkte sowie Managementpunkte enthalten. An den Kontrollpunkten werden Abweichungen festgestellt, die durch die Betätigung von Managementpunkten korrigiert werden können.

Jidoka als Reaktion auf die Automatisierung

Jidoka ist eine Antwort des führenden Autoherstellers auf die Bestrebungen einen Menschen in allen Bereichen durch die Maschinen bzw. durch die elektronische Systeme zu ersetzen.

Wenn ein Arbeiter mehrere Maschinen bedienen muss, ist er nicht in der Lage alle Geräte gleichzeitig zu überwachen. Das führt zwangsläufig zur mangelhaften Produktion und Verschwendung. Um das zu verhindern muss eine Maschine in die Lage versetzt werden Fehler selbständig zu erkennen. Tritt ein Fehler auf, muss ein Signal abgesetzt werden. (Intelligente Maschinen sollen außerdem in der Lage sein einfache Fehler selbständig zu beheben).

Annahmen, die Jidoka zugrunde liegen:

  • Eine angeschaffte Maschine verursacht Kosten unabhängig davon ob sie gerade angesetzt wird oder nicht. Menschen werden für die tatsächlich erbrachten Leistungen bezahlt.
  • Eine Maschine kann nur die Arbeit übernehmen, für die sie konzipiert wurde. Maschinen sind dadurch weniger lernfähig und flexibel einsetzbar als die Menschen
  • Eine Maschine ist dem Menschen in der Routinearbeit überlegen, kann jedoch nicht adäquat auf die unerwartete Prozessabweichungen reagieren
  • Ein Versuch einer Maschine menschliche Qualitäten „beizubringen“ ist sehr kostenintensiv, zeitaufwendig und nicht immer umsetzbar.

Daher postuliert Jidoka-Prinzip die folgenden Grundsätze:

  • Man muss nur die Prozesse automatisieren, die bekannt, standardisierbar und gut modellierbar sind. Werden Prozesse mit vielen einzelnen Entscheidungen in einer flexiblen Umwelt automatisiert, wird es zwangsläufig zu einer Zunahme von nicht beherrschbaren Situationen und kritischen Fehlern führen.
  • Die Automatisierung muss „intelligent“ sein. D.h.
    jede Maschine im Arbeitsprozess soll ohne ständige
    Beobachtung eines Bedieners produzieren und im Falle einer Abnormität, wie z. B. eines Werkzeugbruchs, selbstständig abschalten können. Dadurch werden keine defekten Produkte an den nachfolgenden internen Kunden weitergegeben.

Einsatz von EDV bringt nicht nur Vorteile

Eines der Zauberworte für ein Krankenhaus der Zukunft heißt „Digitalisierung“. Man kann lange diskutieren, wie dieser Begriff zu interpretieren ist.

Laut klassischer, kybernetischer Definition sind unsere Krankenhäuser schon längst digital.

Keiner benutzt eine analoge, durchgehende Fieberkurve. Stattdessen messen wir ein paar mal am Tag Fieber und verbinden diese Punkte in der Patientenakte mit Linien – also digitalisieren. Das Gleiche machen wir auch mit anderen Vitalparametern.

Viel mehr wird unter Digitalisierung eine Computerisierung verstanden – eben Ersatz menschlicher Mitarbeiter durch eine Software und/oder Hardware.

Oder, besser gesagt, Ersatz mancher Funktionen der Mitarbeiter…

Einsatz von EDV bringt aber nicht nur Vorteile. Wie oben formuliert – jedes EDV-System bringt einen sehr hohen Entwicklungs- und Pflegeaufwand mit sich. Es gibt kaum individualisierte Lösungen. Standardsoftware werden entwickelt. Sie werden im Besten Fall an die örtliche Gegebenheiten angepasst. Somit müssen die tatsächlicher Abläufe oft in die vorgegebene Software „eingepresst“ werden…

Mit entsprechenden Folgen für die Prozesse.

„Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.“

Thorsten Dirks, CEO der Telefónica Deutschland AG

Ich kann es etwas sanfter formulieren: durch die Digitalisierung machen Sie aus einem Prozess-Problem, ein EDV-Problem. Und das ist der Grund warum die EDV-Abteilungen irgendwann für die meisten Probleme im Krankenhaus verantwortlich gemacht werden….

Jidoka in der Medizin

Inzwischen sind Transport-Roboter, OP-Roboter und sogar Pflegeroboter entwickelt worden. Unit-Dose und Closed-Loop werden im Medikationsprozess eingesetzt. Die Krankenhäuser, Praxen und Pflegeeinrichtungen sollen digital miteinander kommunizieren. Befunde werden ortsunabhängig begutachtet…

Es entsteht das Gefühl, dass die Patienten bald durch die vorgewärmte Roboterhände von der Notaufnahme bis zur Entlassung getragen werden. Dabei werden durch unendlich viele Sensoren erfasste Daten jedem beteiligten Arzt zur Verfügung gestellt…

Das Ganze hat nur einen kleinen Hacken: elektronische Systeme werden voneinander unabhängig entwickelt und eingeführt. Es gibt keine einheitliche Spezifikation für den Behandlungsprozess, es gibt keine festen Kriterien für den Einsatz elektronischer Systeme.

An dieser Stelle kann Jidoka einen wichtigen Dienst leisten.

Schauen Sie oben das Bild an. Das Diagramm ist eine Teil meines Beitrags auf einer Fachkonferenz zum Thema „Digitales Krankenhaus“. Es handelt sich um keine empirische Daten, sondern um einen Versuch mittels Grafiken eine Idee darzustellen.

Es geht um den zunehmenden Einsatz elektronischer Systeme im Gesundheitswesen.

Im Diagramm werden die Fehleranfälligkeit von eingesetzter Systeme in Relation zu Komplexität von Aufgaben gesetzt. Es sit bekannt, dass Maschinen besser mit Routineaufgaben abschneiden und dazu noch deutlich schneller sein können, als die Menschen. Dafür können sie sich schlechter in einer ungewohnten bzw. unbekannten Umgebung orientieren und Probleme lösen. Daher braucht jedes digitales System einen Input um ihren Output zu produzieren.

Und genau hier entfaltet sich die ganze Macht von umgesetzten Jidoka: Stabile, standardisierte Prozesse mit fest und sinnvoll etablierten Kontrollpunkten können ohne großen Probleme digitalisiert und in die ganze „biologisch-digitale“ Landschaft integriert werden.

Nehmen wir als Beispiel unsere wunderbaren KIS-Systeme. Sie bilden alle komplexen Abläufe im Krankenhaus ab: von den Aufnahmedaten, Behandlungsdaten bis hin zur Abrechnung. Die wichtigste Entscheidung können diese Systeme einem Arzt jedoch nicht abnehmen – ob ein Patient überhaupt stationär aufgenommen werden muss.


Ein KIS kann keinesfalls das gesamte Leistungsspektrum abdecken, da in einem Krankenhaus neben einer rein stationären z.B. auch eine ambulante und eine vorstationäre Versorgung statt findet. Die Systeme wurden aber mal für die rein stationäre Behandlungen konzipiert. Daraus entstehen viele verwaltungstechnischen Probleme.

Hätte man bei der Entwicklung von KIS sich auf die echten Abläufe orientiert und im Voraus entsprechende Schnittstellen eingebaut, hätten die Krankenhäuser die für die Problemlösung eingesetzten Personalressourcen woanders brauchen können – z.B. in der Patientenversorgung.

No Comments LEAN-Glossar für Mediziner

Kanban: Bestellkarte vom internen Kunden an den internen Lieferanten.

LEAN-Krankenhaus: Bestände als Zeichen einer Prozessstörung und Kanban als ein effektives Werkzeug um diese Probleme zu lösen

Was ist Kanban?

Es gibt verschiedene Arten von Kanban. Dieses LEAN-Werkzeug wird in der agilen Softwareentwicklung oder Projektmanagement anders gestaltet, als in der Autoindustrie. Im Grunde genommen, jedes System, in dem die Informationsweitergabe mit speziellen Karten erfolgt, kann man als Kanban bezeichnen.

Das Wort „Kanban“ bedeutet nichts anderes als eine „Bestellkarte“. Soweit so gut, aber wer bestellt bei wem in einer großen Autofabrik? Und was haben solche Tools im Krankenhaus zu suchen?

Abteilungen als Einzelunternehmen

Als erstes müssen wir lernen verschiedene Abteilungen und Organisationseinheiten eines Krankenhauses als Einzelunternehmen zu betrachten. Notaufnahme – „Unternehmen 1“, chirurgische Station – „Unternehmen 2“, OP – „Unternehmen 3“ usw. Danach stellen wir uns zwei Fragen:

  1. Welche Aufgaben haben die einzelnen „Unternehmen“ in der gesamten Wertschöpfungskette?
  2. Welchen Input brauchen sie um ihren Output zu erzeugen?

Diese Begriffe mögen für Mediziner fremd klingeln. Derer Bedeutung ist jedoch sehr einfach: wir nehmen kranke Patienten auf (Input) um sie zu behandeln und (idealerweise) gesund zu entlassen (Output). Dabei verbrauchen wir Ressourcen (Arbeitszeit, Materialien usw.) .

Geschäftsverhältnisse zwischen Einzelunternehmen

Wie sieht es für unsere Einzelunternehmen aus?

Sie brauchen ebenfalls Input um ihren Output zu produzieren! Die Notaufnahme bekommt einen Patienten eingeliefert (Input), er wird untersucht, behandelt und anschließend auf eine Station verlegt (Output). Die Station übernimmt den Patienten (Input) und bereitet ihn für einen Eingriff vor. Anschließend wird er in den OP transportiert (Output) usw.

In diesem ganzen Prozess ist aber nicht nur die Reihenfolge wichtig (Kunden-Lieferanten-Verhältnis), sondern der sich verändernde Zustand des Patienten: in der Notaufnahme handelt es sich um einen „unklaren Fall“. Nach einer Untersuchungen steht aber dann eine (Verdachts-)Diagnose fest. Auf Station kommt ein diagnostizierter, aber nicht vorbereiteter Patient, der für den OP vorbereitet werden muss. Im Idealfall entspricht der Output von der Station dem „bestellten“ Input des OP… Im Idealfall…

In den weiteren Abschnitten versuche ich die Grundideen von Kanban am Beispiel einer OP-Schleuse zu erklären. Aber zuerst eine kleine Analogie:

Keiner kommt auf die Idee einen großen Einkauf ohne Einkaufsliste zu machen. Oder noch absurder – etwas in einem Katalog zu bestellen ohne genau zu wissen was man eigentlich will. Wir bestellen nicht irgendein Kleid oder beliebig große Schuhe. Es gibt einen alten Witz über einen Käufer, der in eine Lebensmittelgeschäft ein halbes Kilo Essen kaufen wollte…

Das, was für einen privaten Haushalt absurd klingt, findet tagtäglich in unseren Krankenhäusern statt.

Und nun kommen wir zu unserer OP-Schleuse.

Diese Abteilung muss für alle organisatorischen Probleme aller vorgeschalteten Einzelunternehmen im Behandlungsprozesses geraden stehen. Ob der Patient nicht richtig vorbereitet wurde, abnehmbare Zähne mitgebracht hat oder gar keine gültige OP-Aufklärung in der Akte zu finden ist, müssen die OP-Mitarbeiter die Vorbereitung nachholen (rasieren, Nabel pflegen usw.), Zähne herausnehmen und dafür sorgen, dass sie nicht verloren gehen oder die fehlende Unterlagen suchen bzw. organisieren…

Die Situation in die OP-Schleuse sieht also so aus, als würden sie immer wieder „ein halbes Kilo Essen“ bestellt haben. Die Mitarbeiter wissen nämlich nie genau was sie „bekommen“. Mal kommen gut vorbereitete stationäre Patienten, mal gar nicht vorbereitete ambulante 5-Minuten-Eingriffe oder tagesgleich Patienten von den niedergelassenen Kollegen, die sowieso andere Standards im Kopf haben, als die Hausabteilungen…

Schrittmacher-Prozess

Wo liegt das Problem? In LEAN-Begrifflichkeit stellt der OP den Schrittmacher-Prozess dar. Damit ist der „Flaschenhals“ im Gesamtprozess gemeint. Werden zu viele Patienten eingeliefert – ist der „Flaschenhals“ nicht in der Lage sie durchzulassen. So kommen die Bestände zustande: vor der OP-Schleuse einstehen Warteschlangen aus Patientenbetten, auf den Stationen müssen die geplanten Patienten auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet werden (Bestand „nicht versorgte Patienten“)…

Dabei sind die Ursachen mannigfaltig: nicht planbare Situationen während einer Operation, unterschiedlich schnelle Operateure, keine zuverlässige Planung, echte und vermeintliche Notfälle, Personalmangel, verschiedene Patientenströme: tagesgleich, stationär, ambulant…

Außerdem haben ständige politische und ökonomische Veränderungen in der Medizin, Spezialisierung und ständiges Wachstum des Unternehmens sowie viele andere Faktoren dazu geführt, dass Anzahl parallel laufender Prozesse und entsprechenden Schnittstellen unübersichtlich wurde…

Um sich einen Überblick in dieser komplexen Landschaft zu verschaffen kann man mit dem Schrittmacher-Prozess beginnen und hier ein Kanban implementieren.

Kanban einsetzen um die Bestände schrittweise zu reduzieren

Da sich ein „Pool“ von schlecht vorbereiteten Patienten in der OP-Schleuse angesammelt hat, entscheiden Sie sich ein Kanban in der OP-Schleuse einzusetzen. Es handelt sich dabei um ein Kanban mit Kontrollfunktion. Ziel Ihres Vorhabens ist nicht nur Probleme zu Visualisieren und die Ursachenforschung zu betreiben. Sie können direkt am „Eingang“ Ihres Einzelunternehmens namens „OP“ die Problemfälle „markieren“ um die Information an die Mitarbeiter im Op-Saal weiter zu geben und somit die Effizienz des kritischsten Prozesses zu erhöhen.

Es bringt Ihnen nicht viel die Stationen mit zusätzlichem Personal auszurüsten, wenn durch die hohe Geschwindigkeit der OP-Vorbereitung die Schlangen an der OP-Schleuse größer werden…

Praktisches Beispiel

Eines der größten Probleme in unserer OP-Schleuse stellte die präoperative Pflichtdokumentation dar. Um die Situation analysieren zu können, haben wir uns für die Farbcodierung entschieden (siehe Bild oben): rote Karte – mangelhafte OP-Aufklärung, gelbe -Anästhesie-Aufklärung, blaue – präoperative Checkliste…

Die Karten wurden durch die Mitarbeiter der Schleuse vergeben und auf der Kanban-Tafel erfasst. Sie lieferten uns Informationen über die Struktur unserer „Bestände“ und derer Ursachen. Wir haben erfahren welche Stationen, welche Fachrichtungen, welche Patientengruppen usw. die Prozesse im OP am meisten gestört haben. Und fingen an mit diesen empirischen Daten die gesamte Wertschöpfungskette vom Schrittmacher-Prozess rückwärts umzugestalten. Das ist eine Teilliste abgeleiteter Maßnahmen:

  1. Es wurden unterschiedliche Aufnahmewege und damit verbundene Dokumentationsabläufe analysiert: stationär, tagesgleich, vorstationär, ambulant, akute Verlegungen aus nicht chirurgischen Stationen usw.
  2. Das einheitliche OP-Anmeldeformular wurde eingeführt: elektronisch mit vorbelegten Auswahlmöglichkeiten bzgl. Eingriffs, Pflichtfelder über statt gehabte OP- und Anästhesie-Aufklärungen usw.
  3. Die WHO-Checkliste und die präoperative Checklisten wurden angepasst: z.B. Entwicklung unterschiedlicher Checklisten für die ambulanten und tagesgleichen/stationären Patienten
  4. Ein Standardvorgehen bei Problemsituationen in der Schleuse wurde entwickelt.

Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Anzahl Problemfälle bzgl. OP-Aufklärungen sich innerhalb eines Jahres von 20% auf 2% reduziert hat. Und sie ist weiter fallend…

Eine kurze Anmerkung am Ende

Die Kanban-Methode ist im Krankenhaus gar nicht neu. Eine präoperative Checkliste z.B. beschreibt ganz genau Anforderungen an die präoperative Vorbereitung eines Patienten. Die Grundidee dieser Checkliste ist die „Qualität“ der Vorbereitung zu garantieren und unter Anderem den richtigen Input an der OP-Schleuse zu gewährleisten. Zwei wichtige Punkte können eine präoperative Checkliste in ein Kanban umwandeln:

  • jeder Einzelunternehmen muss für die Qualität seines Outputs verantwortlich sein. Das bedeutet, dass die Patienten mit der mangelhaften OP-Vorbereitung eine Station gar nicht Richtung OP verlassen dürfen
  • jeder Einzelunternehmen wird in die Lage versetzt entsprechende Input-Qualität einzufordern und b.B. eine mangelhafte Lieferung ablehnen. Dass heißt, dass z.B. die Mitarbeiter an der OP-Schleuse in der Lage sind das Einschleusen eines Patienten abzulehnen. Dafür braucht man aber transparente Regeln.
No Comments AllgemeinLEAN-Glossar für Mediziner

Andon ( japanisch „Laterne“)

LEAN-Krankenhaus: Prozess- und Qualitätsprobleme zeitnah, kostensparend und effektiv erkennen, melden und lösen

Andon ist nicht nur ein Signal

Andon ist ein Lichtsignal, das in den Toyota-Fabriken durch eine Reißleine aktiviert wird. Dabei kann jeder Mitarbeiter dieses Signal setzen sobald er ein Prozess- oder Qualitätsproblem festgestellt hat. Daraufhin muss sofort der zuständige Vorarbeiter erscheinen und entweder das Problem lösen oder den ganzen Fließband stoppen und weitere Maßnahmen einleiten.

Damit handelt es sich beim Andon um ein System, das es möglich macht akute Probleme schnellstmöglich vor Ort zu identifizieren und zu lösen.

Lichtsignale im Krankenhaus

Obwohl wir in den Krankenhäusern keine Autos bauen und trotz knapp getakteter Arbeit ein Fließband-Denken ablehnen, setzen auch wir seit Jahren Lichtsignale ein. So sind manche OP-Schleusen mit roten und grünen Lichtern ausgestattet um den Patientenfluss steuern zu können. Diese Signalleuchten bedeuten so viel wie „frei“ oder „besetzt“ und gelten für die Transportdienstmitarbeiter, die ihre Patienten abliefern oder abholen sollen.

Was haben die Leuchten mit Problemlösung zu tun?

Auf den ersten Blick tatsächlich nicht viel.

Die Patiententransporte sind meistens nicht auf Minute genau planbar. Die OP- und Wechselzeiten sind nicht immer zuverlässig vorhersehbar. Viele organisatorische „Schwachstellen“ beeinflussen ungünstig die perioperativen Prozesse. Das ist die eine Seite der Krankenhausroutine.

Auf der anderen Seite muss der Behandlungsprozess ununterbrochen fließen. Das führt zu einer einfachen, aber verschwenderischen Lösung: an den Knotenpunkten wie OP-Schleuse werden feste Mitarbeiter eingesetzt. Diese Mitarbeiter sind immer vor Ort und immer bereit die Patienten „abzufertigen“.

Dadurch entfällt die Notwendigkeit die Leuchtsignale tatsächlich einzusetzen. Sie werden einfach nicht mehr genutzt… Bis zu einem Zeitpunkt, an dem die Arbeitsverdichtung in den Spitzenzeiten die Gedanken an die lokale Verwaltung der Patientenströme zum Leben ruft.

Lokale Verwaltung von Patientenströmen

Um die Mitarbeiter an der Schleuse zu entlasten kann man wieder die Leuchtsignale einsetzen um eine vernünftige Überprüfung der OP-Unterlagen und stressfreie Lagerung von Patienten auf dem OP-Tisch sowie problemloses „Parken“ des Patientenbetts zu gewährleisten.

Und genau ab diesem Zeitpunkt wird es stressig: die Patienten stehen (genauer gesagt – liegen) Schlange vor der OP-Schleuse, Operateure toben, Anästhesisten versuchen ihre Patienten an der Schleuse-Mitarbeitern vorbei zu fahren um die kontrollierte Wechselzeiten zu verkürzen… Chaos wird perfekt. Nun stellt sich nach der Frage „Warum funktioniert das nicht wie gewünscht?“ eine weitere Frage: „Wie erkenne, melde und löse ich die entstehenden Probleme ohne den ganzen Ablauf zum Stillstand zu bringen?“.

Signale ohne Regeln bringen nichts

Wir haben unser Pferd (wieder mal) von hinten aufgezäumt.

Um ein Signalsystem effektiv zu implementieren muss zuerst der gesamte Prozess analysieren werden um die Erstreaktion sowie die Eskalationsszenarien für die beteiligten Mitarbeiter zu entwickeln. Was mache ich, wenn die Anästhesie-Aufklärung nicht vorliegt, die Seite nicht markiert ist, abnehmbare Zähne noch drin sind, Schmuck hängt…

Klare Regeln müssen aufgestellt werden. Erst wenn sie allen Beteiligten bekannt sind (oder besser – mit allen Beteiligten vereinbart), kann man die sinnvollen Kontrollpunkte im Prozess festlegen und mögliche Szenarien ausarbeiten.

Andon ist ein internes Signal

So gesehen wäre eine Leuchte eher auf der anderen Seite der Schleuse erforderlich. Wird z.B. ein Patient mit mangelhafter oder fehlender OP-Aufklärung eingeliefert, müssen die Mitarbeiter zuerst selbständig versuchen das Problem zu lösen (Anruf auf Station, Rücksprache mit Operateur usw.). Diese Schritte sollen am Besten in Form eines Standards definiert werden.

Falls innerhalb des vorgegebenen Zeitraums (z.B. 5 Minuten) keine Problemlösung erzielt werden konnte, wird eine „Reißleine“ betätigt und somit eine interne „rote Leuchte“ eingeschaltet. Sie gilt als Signal für die OP-Leitung oder deren Vertreter, das an der Schleuse gerade ein akutes Problem vorliegt und dadurch der gesamte Prozess behindert wird. Das bedeutet im Detail:

  • kein Einschleusen mehr möglich
  • OP-Team wartet
  • der Raum ist blockiert
  • usw.

In diesem Fall muss der Verantwortlicher (die Verantwortliche) persönlich kommen und das Problem vor Ort schnellstmöglich beheben. Unter anderem schützt das die Mitarbeiter der Pflege, die an der Schleuse eingesetzt werden, von unnötigen und oft emotional geladenen Diskussionen.

Kurz formuliert: ohne klare Regeln machen Signalsysteme keinen Sinn.

Andon verlegt die Problemerkennung und Erstanalyse an das scharfe Prozessende und gibt jedem Mitarbeiter die Möglichkeit sich mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten an der Prozessverbesserung zu beteiligen.

No Comments LEAN-Glossar für Mediziner

LEAN-Management im Krankenhaus vom Mediziner für Mediziner

Der Begriff LEAN-Krankenhaus ist bereits fest etabliert. Dieses Managementsystem ist verlockend – schlanke Führungsstrukturen, keine überflüssige Kapazitäten – weder räumlich, noch personell, schlanke Prozesse, keine Verschwendung und das Zauberwort „Effizienz“. Dabei wurde dieses System durch einen der führenden Konzerne aus der Autoindustrie entwickelt. Das führt fast automatisch bei vielen Krankenhausärzten zu einer fast reflektorischen Gegenreaktion – „wir bauen doch keine Autos“. Dieser Einwand ist berechtigt, trifft jedoch nicht den Kern des Problems. Die Beispiele kommen aus der Autoindustrie, da die Mediziner noch keine vergleichbaren Erfolge vorweisen können. Eines der Hauptgründe dafür ist die Tatsache, dass LEAN-Projekte durch nicht-Mediziner getriggert und geleitet werden. Daher kann man den Einfluss dieser Projekte auf das „scharfe Prozessende“ nicht eindeutig beschreiben.

Ich bin Arzt, Risikomanager, Informatiker und LEAN-Manager zugleich. In meiner aktuellen Position als Risikomanager in einem Krankenhauskonzern habe ich sehr gute und inspirierende Erfahrungen mit den Methoden des LEAN-Managements gemacht und möchte diese Erfahrungen mit Ihnen gerne teilen. Ich bin fest überzeugt, dass Kanban, Andon und Co einen festen Platz in der Krankenhausroutine verdienen. Unter einer Voraussetzung: sie müssen verstanden und richtig eingesetzt werden.

Einen besonderen Dank möchte ich dem Herrn Jörg Gottschalk aussprechen. Er hat es geschafft mich mit dem „LEAN-Virus“ in seinem Workshop so anzustecken, dass ich mir dann die ganze Ausbildung zum cert. Lean-Manager zugelegt habe. Meine Beiträge sehe ich nur als eine Ergänzung seitens eines Arztes zum bestehenden regen Austausch zum Thema „LEAN-Krankenhaus“

Bis bald

Dr. Matvei Tobman

No Comments Allgemein