Kategorie: Allgemein

Kobra-Effekt – die Macht der Kennzahlen

„Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“

Bernard Shaw

Der Kampf gegen die Schlangenplage

Diese Gesichte hat sich in Indien zugetragen. Eines Tages erfuhr ein englischer Gouverneur über die Schlangenplage. In einer Provinz hatten sich giftige Kobras drastisch vermehrt, was das Leben der Landbevölkerung deutliche erschwerte. Um das Problem zu lösen wurde Kopfgeld für jede getötete Schlange aufgesetzt.

Königskobra (pixabay.com)

Königskobra (pixabay.com)

Der Gedankengang war logisch und einfach: jede lebendige Kobra muss einen Kopf haben. Wird dieser vom restlichen Körper abgetrennt, lebt die Schlange nicht mehr. Draus wurde eine Regel abgeleitet: je mehr abgetrennter Köpfe, desto weniger lebenden Schlangen in der Provinz.

Diese Maßnahme, die mit stetig steigenden Ausgaben verbunden war, führte zu keinem spürbaren Erfolg. Obwohl die gebrachten Schlangenköpfe sich sich im Trophäenlager türmten und das ausgezahlte Geld alle Planungen übertroffen hatte, änderte sich die Schlangenzahl kaum. Bei einer Untersuchung hat sich herausgestellt, dass die indischen Schlangenjäger ziemlich schnell eine gute Methode fanden die gesetzte Kennzahl profitabel zu beeinflussen. Sie haben angefangen Kobras zu züchten und zu schlachten…

Ist diese Geschichte noch aktuell?

Man könnte sagen, dass der militärisch ausgebildeter Gouverneur einfach zu geradlinig dachte und agierte. Oder, dass er die arglistige einheimische Bevölkerung einfach unterschätzt hatte. Oder das er mit seiner Gutmütigkeit dem faulen Volk zum Opfer gefallen ist. Wie auch immer. Er wollte auf jeden Fall helfen, da die giftigen Viecher seine Untertanen bedrohten… Er hatte eben gute Vorsätze, die oft den Weg zu Höhle pflastern.

Die beschriebenen Probleme gehören leider nicht nur der Vergangenheit an. Solche Entscheidungen werden immer noch täglich getroffen. Und nicht nur bei operativen Entscheidungen. In den höchsten politischen Etagen bedienen sich viele ebenfalls dieser Strategie. Es ist zu verlockend alles auf eine nachvollziehbare Kennzahl auszurichten, die alle  komplexen Zusammenhänge in einem Wenn-dann-Satz  zusammenfassen.

7-Tage-Inzidenzkurve Coronavirus in Deutschland

(Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/corona-rki-zahlen-125.html)

Dabei ist diese Betrachtungsweise keineswegs falsch. Es muss lediglich präzisiert werden, welche Aussage jede konkrete Kennzahl erlaubt und wo man anfangen muss hinein zu interpretieren bzw. zu prognostizieren.

Es mach außerdem einen großen Unterschied ob der Gouverneur von den „Schlangenköpfen“, „Kobraköpfen“ oder „getöteten Tieren“ spricht.

Was würde ein Prozessmanager dazu sagen?

IST-Zustand war unbefriedigend. Die landwirtschaftlichen Prozesse wurden behindert. Die Bevölkerung (Mitarbeiter) waren verunsichert und die Kosten für medizinische Versorgung schnellten nach oben. Manche Bauern haben sich nicht mehr auf die Felder getraut. Nach ausführlichen Analysen wurde das Problem identifiziert – Schlangen. Deren Anzahl ist nämlich sprunghaft gestiegen, was zu den oben genannten Problemen geführt hat.

SOLL-Zustand war als deutlich reduzierte Anzahl von Kobras definiert…

Oder?

Hätte man sich etwas Mühe gegeben und nach SMART-Regel vorgegangen, könnte das Ziel ungefähr so klingen:

Eine Reduktion der Anzahl von Kobras pro Quadratkilometer auf den Wert von unter 100 bringen. In Anbetracht ausgerechneter Fortpflanzungsgeschwindigkeit dieser Art müssen pro Woche mindestens 100 Köpfe erwachsener Kobras (hier vorgegebene Größe oder z.B. Merkmale) gebracht werden. Die Fangmethoden sowie Abnahme- und Zahlungsbedingungen sollen mit den Vertretern einzelner Stämme abgestimmt werden. Die angestrebte Reduktion der Kobra-Population muss bis zum 31.12. des laufenden Jahres erreicht werden.

Geplante Maßnahmen: Einführung einer Pauschalzahlung für die abgetrennten Schlangenköpfe. Diese Pauschale wird jedem ausgezahlt, der einen Kobra-Kopf zum Schalter am Haupteingang des Gouverneurs-Residenz bringt. Annahme zwischen 16:00 und 18:00 täglich. Der Schalter wird von einem Angestellten betrieben, der direkt dem Schatzmeister unterstellt ist. Wöchentlich ist dem Gouverneur ein Bericht über das ausgezahlte Geld und Schlangenanzahl zu erstatten.

Ungefähr so, auf Hindi übersetzt und schriftlich niedergelegt.

Warum hat es denn nicht geklappt?

Offensichtlich hat der Gouverneur nicht alle Einflussfaktoren berücksichtigt, keine Kontrolle vorgesehen und ein falsches Bild von der Bevölkerung gehabt. Hat er vielleicht mit aktiven, motivierten Bauern gerechnet (Y-Typ nach McGregor), die durch die zusätzliche Belohnung animiert werden ihre Häuser zu verlassen um die Schlangen zu jagen?

Stattdessen entpuppten sich die Untertanen als schwermotivierbare X-Typen, die nur wirtschaftlich denken und versuchen den größten Gewinn (Geld) mit dem kleinsten Aufwand (Schlangen züchten) zu erreichen. Könnte aber auch sein, dass er an die Unterschiede zwischen den indischen und den englischen Bürgern gar nicht dachte.

Hat ihm also nur eine solide Personalabteilung gefehlt?

Die Geschichte berichtet auch nicht darüber wie die gebrachten Nachweise kontrolliert wurden. Ebenso wenig bekannt ist ob es Jagdlizenzen gab (Kontrolle der Qualifikation)? Oder wurde das Geld vielleicht in Form von separaten Budgets pro Dorf etabliert?

Alternativ hätte man ein Punktesystem einführen können: hätte ein Beamte auf einer Karte die Herkunftsorte getöteter Schlangen je mit einem Punkt markiert, wäre ihm schnell  klar, dass die meisten Schlangen in den wenigen Orten überdurchschnittlich oft vorkommen. Nämlich da, wo die meisten „Schlangenfarmen“ etabliert sind.

Management (pixabay.com)

Hätte hier eine Controlling-Abteilung  viel Geld und Ärger sparen können? Oder hat man einen Top-Manager anheuern müssen? Oder wäre das Projektmanagement sinnvoll?

Ob es damals auch Beratungsfirmen schon gab, wurde auch nicht überliefert.

Spannend wäre auch zu erfahren ob der Gouverneur oder seine Beamten das Problem vor Ort beobachtet  oder lediglich aus den Berichten erfahren haben.

Es hat wunderbar funktioniert!

Lassen Sie uns aber die Zielsetzung durch die Kennzahlen-Brille anschauen. Die als Kennzahl gesteckten Ziele wurden erreicht und sogar übertroffen! Der Gouverneur wollte abgeschlagene Köpfe sehen. Davon hat er auch genug bekommen. Das hat aber nicht zur gewünschten Problemlösung geführt.

Es fand nämlich die Verwechslung des Ziels und der Kennzahl statt. Belohnt wurden eben nicht die Schritte zur Zielerreichung (getöteten wilden Schlangen), sondern der Nachweis, dass eine Kobra geschlachtet wurde.

Genau hier liegt das oft unerkannte Problem.

Kennzahlen müssen auf das Endziel ausgerichtet sein und nicht nur die einzelnen Prozessschritte abbilden. Eine Kennzahl sagt eben nur etwas über einen erfassbaren Teil eines Teilprozesses aus.

Es ist viel zu leicht hinter den Kennzahlen (die Bäume) die Realität (den Wald) zu übersehen. Kennzahl ist eben nur eine Kennzahl, die ohne Kontext des Gesamtprozesses nicht interpretierbar ist.

Gegenmaßnahmen, aber schnell

Als der Schwindel mit gezüchteten Kobras aufgeflogen war, wurden die Zahlungen sofort gestoppt. Das hat wohl sogar zur einer Verschlechterung der Situation geführt – die gezüchteten Schlangen wurden dann einfach frei gelassen.

Es ist aber schwer vorzustellen, dass die Landleute die gezüchteten Gifttiere einfach so „laufen“ lassen haben. Sie waren vielleicht schlau und faul, aber keineswegs blöd. Jede freigelassene Schlange bedeutete eine zusätzliche Gefahr. Deswegen kann angenommen werden, dass unmittelbar nach der Entdeckung des Schwindels engmaschige Kontrollen aller Verdachtsfälle angeordnet wurden. Unter diesen Umständen war die Freilassung der Tiere die einzige Rettung von der Strafe oder sogar vom Gefängnis.

Und hier steckt die zweite, nicht weniger wichtige Lehre für das Management: auf keinen Fall darf die Verantwortung für falsche organisatorische Entscheidungen auf die ausführende Arbeitskräfte abgeschoben werden !!!

Durch eine falsche Entscheidung entsteht eine neue IST-Situation, die erneuter Analyse, angepassten Zielsetzung und somit ihrer eigenen Kennzahlen bedarf.

Oder hätte es vielleicht doch gereicht die Kontrollen vor Ort  einzuführen und die Effektivität der Maßnahmen  laufend zu überprüfen?

 

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Prozessmanagement und Pandemie

Gleich im Voraus:

  • dieser Beitrag ist nicht als Kritik konzipiert, weder an die Entscheidungsträger noch an die bestehende Strukturen und Systeme
  • dieser Beitrag greift das aktuell kaum zu vernachlässigendes Thema, hat damit aber nur indirekt zu tun
  • dieser Beitrag ist nur als Anregung zum Umdenken bestehender Routinen gedacht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Objektivität

Aus diesen Gründen werden Sie hier wieder die königliche Bezeichnung der „neuartigen“ Seuche, noch epidemiologische Überlegungen finden. Wir bleiben bei der Aussage des LEAN-Großmeisters:

Abb.1  Taichi Ohno

Etwas umformuliert: „Daten sind wichtig, für eine effektive Steuerung sind jedoch Fakten viel wichtiger“.

Es geht also nur um ein Thema: Prozessgestaltung und Prozesssteuerung in kritischen Situationen.

Eine wichtige Prämisse

Ich bin der Meinung, dass Stresssituationen die wahren Fähigkeiten, Zustände und Verhältnisse in einer Organisation ans Tageslicht bringen.

Man kann sich als Beispiel einen Kampfkünstler vorstellen. Es reicht nicht körperlich fit zu sein und schöne Figuren  auf der weichen Matte zu beherrschen. Viel wichtiger ist es in einer echten Ausnahmesituation sein Können und Wissen anzuwenden um selber unverletzt zu bleiben und den Gegner schnellstmöglich zu neutralisieren.

Hier gibt es keine Zeit zum Nachjustieren. Und noch weniger Zeit um nach einer passenden Technik zu suchen.


Ein Kämpfer muss in der Lage (d.h. fähig) sein den Kampf jederzeit aufzunehmen und sein Können gezielt (d.h. kontrolliert) anzuwenden.


Die Wettkämpfer studieren daher im Voraus die vorherigen Auftritte ihrer geplanten Gegner. Schwieriger wird es jedoch, wenn eine Spezialeinheit nicht genau weiß auf welche Gefahren sie sich beim nächsten Einsatz einlassen muss.

Daher üben die Spezialeinheiten viele unterschiedliche Szenarien.

Das ist aber ein etwas anderes Thema.

Ein Verwandter des LEAN: Six-Sigma

In einem, dem LEAN verwandten Managementsystem – SixSigma – werden genau die oben erwähnte Eigenschaften von Prozessen gemessen und justiert  – die Fähigkeit und die Kontrolle.

Ein Prozess wird als „fähig“ bezeichnet, wenn er die definierte Spezifikation erfüllen kann:

eine Linie produziert pro Minute 100 Schrauben mit einer Länge von 5 cm.

Ein Prozess ist „in Kontrolle“ wenn die Streuung in der Menge der Schrauben und in deren Länge einer Normalverteilung entspricht.

Z.B. 97±6 Schrauben mit der Länge 5 cm ± 1 mm.


Wenn Sie ein mal 50 und ein anderes mal 150 Schrauben pro Minute produzieren, können Sei nicht genau sagen wann die bestellte Menge von 100.000 Schrauben fertig ist. Ihr Kunde bestellt dann lieber woanders…


Somit entspricht die Fähigkeit der Kundenorientierung und Kontrollierbarkeit der Prozessstabilität.

In die Begriffe einer Pandemie-Debatte übersetzt geht es auch darum, ob die vorhandenen Prozesse bzw. Krankenhauskapazitäten in der Lage (fähig) sind die erwartete Anzahl von schwer erkrankten Patienten aufzunehmen. Ob das Gesundheitswesen diesem Patientenkollektiv eine adäquate Behandlung anbieten kann. Und ob die Stabilität der Versorgung aller anderen Erkrankungen (Prozess in Kontrolle?)  gewährleistet ist.

Letztendlich geht es um einen Behandlungsprozess vor dem Hintergrund eines Massenanfalls infektiöser Patienten.

Prozess-Input: schwer Erkrankte, im schlimmsten Fall mit Bedarf an einer künstlichen Beatmung.

Eine Grafik, die aus Prozessmanagement stammt

Wir werden aktuell mit verschiedenen Statistiken, Grafiken und sonstigen visuellen „Entscheidungshilfen“ konfrontiert. Ein Bild aus dem SPIEGEL fand ich aber besonders interessant:

Abb. 2 Einfluss von eingeführten Maßnahmen auf den Ausbreitungsprozess

Das Bild erinnert an ein SixSigma-Diagramm zu Prozessanalyse. Hier wird dargestellt wie die (undefiniert) knappen strukturellen und personellen Ressourcen an eine (unbekannte) große Anzahl infektiöser Patienten vorbereiten werden können.

Die wichtigste Frage aber ist, ob sich auf eine unvorhersehbare Situation überhaupt vorbereiten kann.

Scheitert hier das Prozessmanagement? Sollen die Prozessmanager hier bedingungslos in den Hintergrund treten und den Katastrophenmanagern den Schlachtfeld überlassen?

Meiner Meinung nach, würde es einer absurden Situation ähneln in der der Oberbefehlshaber beim Kriegsbeginn alle seine Generäle absetzt um eine rasche und effektive Zentralisierung zu erreichen…

Die Antwort auf die oben gestellte Frag ist ganz eindeutig:

die Effektivität einer Reaktion auf eine Stresssituation hängt entscheidend vom Zustand bzw. von der Reife etablierter Prozesse ab.

Führung aus der Sicht des Prozessmanagements

Im Prozessmanagement prallen oft zwei Weltanschauungen bzw. Managementsysteme aufeinander: Business Process Reengineering (BPR) und Kaizen (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, KVP).

LEAN-Management setzt bekanntlich auf KVP.

Dieses System hat jedoch einen eindeutigen Nachteil: sind die Prozesse auf die akute Stressbelastung nicht vorbereitet, muss in der Akutsituation mit allen Mitteln und entsprechenden Verlusten und Nachteilen eine umfassende Prozessumgestaltung im Sinne von BPR statt finden.

Da die Prozesse meistens sehr komplex sind und viele Schnittstellen aufweisen, erfolgen bei „akutem BPR“ die folgenden Vorbereitungsschritte:

  • die Prozesse werden mindestens in zwei Gruppen unterteilt
  • die „systemrelevanten“ Prozesse werden von „sonstigen“ separiert
  • die geballten Kräfte werden in den systemrelevanten Prozessen konzentriert
  • die“sonstige“ Prozesse werden in Ruhe versetzt oder auf Minimum reduziert

Dieser Mechanismus ist universell.

Eine Auseinandersetzung mit der Physiologie der Schockreaktion würde aber reichen um die Einschränkungen und Spätfolgen einer solchen „Notzentralisierung“ kennenzulernen…


Wenn die Prozesse nicht fähig und/oder nicht kontrollierbar sind, bleibt in einer Akutsituation nichts anderes übrig als Führung zu zentralisieren und ein „Lock Down“ herbeizuführen.


  • Gewiss, ist es bei einer Pandemie nicht klar wie viele Menschen und wie schwer krank werden.
  • Gewiss, muss man versuchen alle mögliche Ressourcen zu mobilisieren um die maximale Anzahl der Betten und Versorgungskapazitäten zu organisieren.
  • Gewiss, hat das menschliche Leben die höchste Priorität.

Die Frage ist nur wie die Prozesse fähig und kontrollierbar gemacht werden ohne dabei massive Verschwendung zu generieren. Die entstandene enorme Kosten für ein Lock Down, Anschaffungen und Betrieb von evtl. nicht notwendiger Kapazitäten, Prämien, Einkommensausfälle usw. müssen in den nächsten Jahren kompensiert werden um ein Gleichgewicht wieder herzustellen.

Fazit: je robuster die etablierten Prozesse sind, je klarer die Abläufe und Schnittstellen geregelt, je Routinierter die Mitarbeiter, desto weniger Aufwand wird gebraucht um die Kapazitäten flexibel an den wachsenden Bedarf anzupassen. Genauso wie auf eine Ausnahmesituation.


Das ist die Essenz des LEAN-Managements. Sie heißt Kundenorientierung.

Anders formuliert: alle Abläufe werden auf Kundenanforderungen angepasst. Wenn der Kunde gerade statt 100 Autos 350 bestellt, muss der Hersteller kurzfristig in der Lage sein seine Kapazitäten so zu verändern, dass diese Menge hergestellt werden kann. Und dies mit minimaler Verschwendung.


Hier kommt eine kleine Utopie: LEAN-Management einer Pandemie

1. Zielsetzung

Im LEAN-Management wird gerne über Nordstern gesprochen. Darunter wird ein nicht erreichbarer Idealzustand bezeichnet, der jedoch die Richtung für alle weitere Entwicklungen vorgibt. So wäre ein Nordstern der Epidemiologie z.B.

  • sofortige Identifizierung aller Neuerkrankungen und aller Kontaktpersonen – spätestens 1 Tag nach Entwicklung akuter Symptome
  • häusliche Isolierung aller leicht erkrankter und hochgradig gefährdeter Kontaktpersonen – idealerweise basiert auf den Daten über Ansteckungsverhalten des Erregers
  • stationäre Behandlung aller Erkrankten mit schwereren Verläufen inkl. Intensivtherapie und ggf. Beatmung. Idealerweise heimat nah und in spezialisierten Abteilungen
  • Rasche Entwicklung erforderlicher Medikamente
  • Ermittlung des Impfstatus aller potenziell betroffenen Personen
  • Zeitnahe Erstellung eines Impfstoffs und flächendeckende Immunisierung aller nicht immuner Personen bis Immunisierung 70% aller potenzieller Patienten erreicht ist.
  • eine adäquate Reaktion auf die Entwicklung der Epidemie mit dem Hauptziel überdimensionierte Lösungen zu vermeiden.

2. IST-Zustand

Der aktueller Erreger ist unbekannt oder weist andere Eigenschaften auf als seine bekannte Verwandten:

  • er verbreitet sich schnell – eine Person Kontaminiert bis zu 3 andere Personen
  • über 80% aller erkrankten entwickeln leichte oder gar keine Symptome
  • 10% aller Infizierten bekommen eine Lungenentzündung und müssen im schlimmsten Fall 2 Wochen künstlich beatmet werden.
  • In der Gruppe beatmeter Patienten erreicht die Sterblichkeit 10% .
  • die bisherigen Katastrophenpläne enthalten so gut wie keine strukturierte Maßnahmen für eine Pandemie
  • es gibt keine Daten zum Immunstatus der Bevölkerung zum neuartigen Erreger
  • es gibt keinen Impfstoff und keine speziellen Medikamente

Es liegt eine vor Jahren erstelle Risikoszenarioanalyse vor. Sie befasst sich mit der eingetretenen Situation und kann als Leitfaden genutzt werden…

In diesem Dokument wird die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses als 1 mal in 100 bis 1000 Jahren eingestuft, 7,5 Mio Todesopfer in 3 Jahren prognostiziert  und für die Berechnungen  5% milder und 2% asymptomatischer Verläufe angenommen…


Genau für solche Situationen gilt der oben aufgeführter Spruch von Taiichi Ohno: auf welcher Grundlage werden ab nun Prozesse gesteuert? Auf Daten oder auf Fakten?


In einer Akutsituation gibt es keine zuverlässige Informationen. Man muss sich mit unzuverlässige Zahlen und Annahmen bedienen.

Vorhandene Daten: 

In der ersten Stadt mit 10 Mio. Einwohnern, wo die Pandemie ausgebrochen war, sind in 2 Monaten ca. 50 Tsd. Menschen krank geworden. Diese Daten können falsch sein. Andere Einflussparameter wie Bevölkerungsdichte, Umwelt usw. sind nicht bekannt, oder mindestens nicht beziffert.

Erste fiktive Rechnung:

50 Tsd./10 Mio. = 0,005 oder 0,5 % Infizierter in 2 Monaten.

Um ein Sicherheitspuffer zu haben wird dieser Wert verdoppelt . Mit dem Ergebnis: 1% der Gesamtbevölkerung wird in 2 Monaten infiziert.

Das ergibt 0,1% schwerer Verläufe mit Pneumonie und 0,01% Todesfälle.

Inzwischen ist bekannt, dass 10% aller Patienten mit schweren Verläufen an die Beatmungsmaschine für durchschnittlich 2 Wochen müssen.

Klar, diese Rechnung scheint genauso real zu sein wie Kaffeesatz lesen. Nichtsdestotrotz – es gibt jetzt einen Richtwert für die Entwicklung des Soll-Zustandes!!!

3. Soll-Zustand

Die Gesamtbevölkerung unseres fiktiven Staates beträgt 50 Mio. Einwohner.

Dadurch ergeben sich die folgenden Richtwerte für unsere Prozesse im Rahmen einer Pandemie in den nächsten 2 Monaten (für den Fall wenn Infektion sich ähnlich entwickelt wie in der ersten Stadt mal 2 !!!):

  • 500 Tsd. Infizierten in den ersten 2 Monaten (1% der Bevölkerung)
  • 50 Tsd. schwerer Verläufe (10% aller Infizierten)
  • 5 Tsd. Todesfälle (10% aller schweren Verläufe)

Somit muss eine medizinische Versorgung für ca. 25 Tsd. schwer kranker Patienten pro Monat gewährleistet werden (die Hälfte aller schweren Verläufe in 2 Monaten). Davon müssen bei 2,5 Tsd. pro Monat an eine Beatmungsmaschine. Da die Beatmung durchschnittlich 2 Wochen dauert, müssen alle 2 Wochen ca. 1,25 Tsd. Patienten beatmet werden.

Nun werden SOLL-Prozessanforderungen formuliert:

  • mindestens 25 Tsd. Isolierbetten für die Behandlung schwer kranker Patienten pro Monat
  • mindestens 2,5 Tsd. Beatmungsplätze pro Monat oder 1,25 Tsd. alle 2 Wochen

Somit wurde nur der Mindestbedarf grob ausgerechnet. Da es aber nicht ganz klar ist wie sich eine Pandemie tatsächlich entwickelt muss die maximale Kapazität vorhandener Ressourcen ermittelt werden. Die einzige Frage, die dabei offen bleibt:

Wann und wie die maximale Kapazitäten aufgerollt werden sollen – sofort oder schrittweise. Anders formuliert: wie dick der Sicherheitspolster sein muss und unter welchen Bedingungen die zusätzliche Kapazitäten eingesetzt werden.


Alle nicht benutzte Kapazitäten, nicht erforderliche Investitionen, geschaffene zusätzliche Räumlichkeiten, angeschafften Geräte usw. können als „Überproduktion“ – d.h. eine Verschwendung bezeichnet werden.

Außerdem wird das gesamte Gesundheitssystem in ein Zustand versetzt, der in LEAN als „MURI“ bezeichnet wird. Darunter wird eine Überbeanspruchung von Mitarbeiter, Führungskräfte und Maschienen verstanden.

Ganz konkret: die gebundene Ressourcen machen eine Routineversorgung nahezu unmöglich. Zwangsläufig häufen sich dann schwere Komplikationen und Todesfälle in Folge nicht (rechtzeitig) behandelter Krankheiten. Geräte- und Personalausfälle…

Ein anderes Thema, das den definierten Soll-Zustand entscheidend beeinflusst ist „MURA“. Unter diesem Begriff versteckt sich der unausgegliechene Input in den Prozessen. Es wird fast immer angenommen, dass Kundenaufträge, Anfall von Patienten usw. nicht vorhersehbar sind. Daher ist die einzige Möglichkeit kundenorientiert zu bleiben bereit sein zu jedem Zeitpunkt jede Menge angefallener Arbeit so schnell wie möglich zu erledigen.

Bei einer Epidemie wäre das eine unvorstellbar großer Anzahl Behandlungsbedürftiger….

Ob es so ist, lassen wir mal in dem Raum hängen. Das ist eine Kunst zwischen dem EMPFUNDENEN und REALEN zu unterscheiden. Hier nur ein kleines Beispiel aus der aktuellen Pandemie:

Abb. 3 Mura – Variabilität im Ausbreitungsprozess

4. Schrittweise Umsetzung

Wie kommt man also auf die ausgerechnete Zahlen?

Als Erstes muss die vorhandene „Muri“ beachtet werden.

Durch die Ökonomisierung des Gesundheitssektors und einer stetig steigender Effizienz weisen die Krankenhäuser eine Bettenauslastung von über 80%. Wenn man die aktuellen Entlassungen, Warten auf die Aufnahme und andere Faktoren berücksichtigt, kommt man zum Schluss, dass in vielen Krankenhäusern eine Vollbelegung schon längst die Normalität ist.

Wie kann hier der Stufenplan für Pandemie umgesetzt werden?

Unser fiktiver Staat hat beim Normalbetrieb aller Krankenhäuser 300 Tsd. Normalbetten und 20 Tsd. Beatmungsplätze. Bei einer Auslastung von 80% sind 60 Tsd. Normalbetten und 4 Tsd. Beatmungsplätze theoretisch frei…

Hier hört die fiktive Rechnung auf und fängt ein reale Planung an.

    1. auch wenn eine doppelte Rate an Infektionen im Vergleich mit der Beispielstadt beobachtet wird, sind für den ersten Monat die Bettenkapazitäten ausreichend.
    2. alle Krankenhäuser werden in 3 Stufen unterteilt: zu der ersten gehören die eingerichtete Spezialzentren. Zu der zweten solche, die problemlos umgewandelt werden können. Und zu der dritten solche Einrichtungen, die vorerst in der Ruotineversorgung bleiben müssen und nur mit einem erhöhten Aufwand auf die Behandlung infektiöser Patienten vorbereitete werden können.
    3. Weitere Maßnahmen für die Verdoppelung bestehender Kapazitäten müssen erarbeitet werden, z.B. schrittweise Umwandlung einzelner Krankenhäuser in Infektionsspitale.
    4. Die Strukturen unterschiedlicher Einrichtungen ermöglichen keine Verallgemeinerung bzgl. Beatmungskapazitäten. Daher müssen einerseits die Daten gesammelt und andererseits die Maßnahmen für die Mobilisierung und Koordinierung bestehender Beatmungsressourcen umgesetzt werden. So werden im ersten Schritt  die Einrichtungen der ersten Stufe nachgerüstet und b.B. mit dem zusätzlichen Personal ausgestattet.
    5. Es müssen Pläne für die weitere stufenweise Verteilung neuer Patienten bei der Überlastung spezialisierter Zentren und weiterer „Infektionsspitäler“ erarbeitet werden.
    6. Extrem wichtig ist nicht nur die Verantwortlichen zu installieren, sondern klare und transparente Entscheidungskriterien und Kommunikationswege zu etablieren. Sonst läuft man die Gefahr durch unterschiedliche Handhabung und Steuerung von Patientenströme im ungünstigsten Fall die ganzen Krankenhäuser handlungsunfähig zu machen- z.B. durch eine notwendige Quarantäne.

Das sind nur die Beispiele für die ersten Schritte. Da wir uns gerade in der KVP-Denke befinden, ist es unmöglich ohne reale Daten weitere Schritte zu beschreiben.

Wichtig ist es , dass die geplanten Maßnahmen alle der Erreichung des SOLL-Zustandes beitragen und damit in Richtung Nordsterns gehen…

5. Kontrollpunkte

Nun sind die Flow-Charts erstellt und Pläne geschmiedet. Prozesse sind modelliert und mit Leben gefüllt. Was bleibt?

Die Frage wie die ganzen Abläufe koordiniert und gesteuert werden können.

Komplexe Prozesse mit mehreren Schnittstellen und Einflussvariablen sind kaum überschaubar. Noch mehr – Eingriffe an den falschen Stellen und zum falschen Zeitpunkt können sogar die bisher stabilen Prozesse destabilisieren und sogar die ganze Prozesslandschaft zum Kollaps bringen.

Für die Prozesssteuerung sind an den wichtigsten Schnittstellen und Prozessschritten Kontrollpunkte erforderlich. Sie liefern genaue Fakten. Zu solchen Kontrollpunkten können im Pandemieplan  die Bettenbelegung in den Kliniken der ersten Stufe sein. Es ist sinnvoll die separaten Kontrollpunkte für Beatmungskapazitäten zu installiert. Solche Kontrollpunkte können sein:

  • 80% Belegung von Beatmungskapazitäten in der Spezialklinik
  • 90% Belegung von Allgemeinbetten
  • 15% infiziertes Personal in einem Krankenhaus
  • ….

6. Managementpunkte und Eskalationen

Obwohl die Versuchung groß ist, die festgestellten Abweichungen an den Kontrollpunkten sofort vor Ort zu beseitigen, muss zuerst die Zeit investiert werden um an die wahren Ursachen von Abweichungen zu kommen.

Ein Prozess hat immer 3 Bestandteile: Input-Leistung-Output. Es ist nicht sinnvoll sofort an der „Leistung“ zu drehen. Ein Prozess kann durch die Veränderungen des Inputs und Outputs oft effektiver entzerrt und gesteuert werden. Wird z.B. die 80%-Belegung erreicht, können  die folgenden Schritte folgen:

  • Input: Aufnahmestopp aus dem ambulanten Sektor, Patienten werden aus anderen Kliniken nicht mehr übernommen
  • Leistung: werden nur die schwersten Fälle aufgenommen, die Klinik wird mit zusätzlichen Geräten und Personal aufgerüstet und zum Zentrum für die schwerste Verläufe umgebaut.
  • Output: Verlegung in die andere Krankenhäuser…

7. Kontinuierliche Verbesserung

Die eingeleitete Maßnahmen werden ständig kritisch hinterfragt und anhand neuer Erkenntnisse und Entwicklungen  weiterentwickelt und verbessert…


Mag sein, dass eine kritische Situation starke Entscheider und oft ungewöhliche Maßnahmen erfordert. 

Man kann aber auch in solchen Situationen nur auf die etablierten Prozesse, Strukturen und Personal setzen.

Unabhängig davon wie entschlossen die Entscheider sind.

 

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Just In Time und Medikamentenengpässe

Corona-Hysterie

Das Coronavirus macht gerade die ganze Welt verrückt. Es wird intensiv nach den Ursachen und möglichen Verantwortlichen gesucht.  Es gibt schon Verschwörungstheorien und Hamsterkäufe. Die Fakten erreichen in den Medien vieler Länder das mehrfache ihrer tatsächlichen Größe.

Im gleichen Zeitraum werden ca. 130 Menschen Corona-krank und ca. 130 Menschen Influenza-tot.

Worüber wird gesprochen? Was wird als Killer-Virus bezeichnet? Wovon haben die Menschen Angst? Wegen was werden Flughäfen und Grenzen dicht gemacht?

Wir haben verlernt mit Fakten umzugehen, da die scheinbar sichere Welt und flächendeckende medizinische Versorgung uns das Gefühl der absoluten Sicherheit vermitteln versuchen.

Das ist aber ein anderes Thema.

Lieferengpässe für Medikamente

Was dem Gesundheitswesen zunehmend Kopfschmerzen bereitet sind die Lieferenengpässe. In der ersten Linie geht es um die Erzeugnisse der Pharmaindustrie. „Plötzlich“ haben wir feststellen müssen, dass die meisten Grundstoffe für die wichtigsten Medikamente in China produziert werden.

Das betrifft nicht nur heimische Produktion, sondern den Hauptkonkurrenten von China – Indien. Das Land kauft nämlich die Grundstoffe für ihre Medikamente auch in China und sperrt kurzerhand die Exporte angesichts eines möglichen Corona-Ausbruchs im eigenen Land…

Sehr schnell wird klar – Globalisierung hat auch ihre Kehrseiten. Die Jagd nach niedrigeren Produktionskosten und größeren Gewinnen führte zu einer Spezialisierung einzelner Länder. Die Prozesse sind verschlankt worden. Dadurch stieg die Effizienz. Gleichzeitig aber stieg die Abhängigkeit einzelner Spieler voneinander…

Warum ist es günstig in China zu produzieren? Weil die Gehälter niedriger und Umweltauflagen weniger streng sind. Außerdem wird das Ganze „drumherum“ etwas lockerer gehandhabt als in Europa.

Und Gesundheitswesen muss auf jeden Preis bezahlbar bleiben.

Nun sehen wir diesen Preis.

Was hat das mit LEAN zu tun?

Aktuell habe ich in einem Fachartikel die Aussage eines Politikers gelesen: der Fehler unter anderem war sich auf Just-In-Time-Produktion und Reduktion von Lagerbestände zu einigen.

Und hier leuchtete bei mir die rote Lampe – „Stop!!!“

Wir haben uns abhängig gemacht, weil wir keine Bestände haben wollten und uns auf eine „fließende“ Produktion eingelassen haben?

Das klingt irgendwie verkehrt.

Ich hatte das Gefühl, dass man versucht sein Nichtkönnen zu schwimmen auf einen falschen Schnitt des Badeanzugs zu schieben.

Was ist Just In Time (JIT)? 

JIT bedeutet eine effiziente Produktion, die auf Kundenanforderungen ausgerichtet ist. Das Pull-Prinzip und die Auftragssteuerung gehören zum JIT wie Schnürsenkel zum Schuh. Um die Lagerbestände zu reduzieren und eine fließende Produktion auf Bestellung zu ermöglichen sind die folgenden Punkte essentiell:

  • man muss wissen welchen maximalen Output seine Produktionsstätte erzeugen kann
  • man muss wissen bei welchem minimalem Output die Produktion noch rentabel bleibt
  • man muss ermitteln wie lange ein Produktionszyklus dauert bzw. was die Durchlaufzeit ist
  • man muss wissen was Kunden bestellt haben
  • man muss wissen bis wann die Bestellung fertig sein muss und evtl. Kundenverhalten steuern (Rabbate, Sonderangebote usw.)
  • man muss die Logistik ausbauen, da viel mehr Transporte benötigt werden
  • man muss Maßnahmen implementieren um die Termintreue und Qualitätsniveau in den Prozessen sicherzustellen

Wo steckt hier der Fehler?

LEAN-Management ist kein Zauberstab. Jede Methode und jedes Tool haben sowohl Vor- als auch Nachteile. Es wird immer betont, dass Herzstück von LEAN nicht die einzelnen Methoden, sondern das System an sich ist.

So sind die bekannten Nachteile von JIT:

  • Zunehmender Transportbedarf
  • Lager bei den Zulieferern werden benötigt um die Schwankungen zu kompensieren
  • Single Sourcing
  • Konstanter und lückenloser Informationsaustausch erforderlich
  • für die Lieferanten ensteht die Abhängigkeit vom Auftraggeber und umgekehrt
  • Konventionalstrafen und Qualitätskontrolle sind notwendig
  • Krisenanfälligkeit !!!

Um auf die echte Ursache zu kommen machen wir eine kurze Analyse:

Zunehmender Transportbedarf

Die ganze Wertschöpfungskette wird in LEAN von hinten nach vorne aufgebaut – vom Kundenauftrag bis hin zu Grundstoffen. In der Produktionsstätte werden die Lager abgebaut um Verschwendung in Form von Beständen zu eliminieren. Rüstzeiten und Durchlaufzeit werden gekürzt. Die benötigten Materialien, Bauteile, Stoffe usw. werden direkt in die Produktionshalle geliefert und sofort verbraucht. Eines der wichtigsten Prinzipien im LEAN-Management – One Peace Flow – erfordert eine terminierte Lieferungen in kleinen Los-Mengen. Dadurch werden die Transporte häufiger und kleiner.

Lager bei den Zulieferern werden benötigt 

Es heißt aber noch langer nicht, dass es gar keine Lager gibt. Die Schwankungen bestehen nicht nur seitens Kundenbestellungen bzw. Marktanforderungen. Engpässe und Produktionskapazitäten in allen anderen Prozessschritten können massive Störungen in der gesamten Kette hervorrufen. Aus diesem Grund werden die Zulieferer so fest eingebunden, dass sie oft gezwungen sind Sicherheitslager aufzubauen um die möglichen Schwankungen kompensieren zu können.

Single Sourcing

Die effizientesten Prozesse sind linear. Jede Wenn/Dann-Verzweigung bringt Verzögerungen und Möglichkeit einer Fehlentscheidung. Hier kann der bekannter Satz von Henry Ford als gutes Beispiel dienen: „Sie können einen Ford in jeder Farbe haben – Hauptsache er ist schwarz“.

Diese Unifizierung ist die wichtigste Voraussetzung für die hohe Effizienz. Daher können die industriellen Effizienz-Standards in Medizin nur in solchen standardisierbaren Bereichen wie z.B. elektive Orthopädie angewandt werden. Die konsequenten Bestrebungen der Politik solche Qualitätsansprüche im stationären Bereich umzusetzen führen einerseits zu einer hohen Spezialisierung und andererseits zum „Aussterben“ solcher Fächer wie Allgemeinmedizin und Allgemeinchirurgie.

Diese sind jedoch für Krisenmanagement essentiell.

Wenn wir aber zum JIT kommen, dann werde ich hier einfach behaupten: je weniger zuverlässiger Lieferanten im Prozess installiert werden, desto effizienter wird der Prozess.

Grundstoffe für Medikamente aus China – Basta!!!

Konstanter und lückenloser Informationsaustausch erforderlich

Aus den oben genannten Gründen ist eine Beziehung zwischen dem internen Lieferanten und dem internen Kunden durch eine sehr hohe Abhängigkeit geprägt.

Ohne Information in Form von eingegangener Bestellungen, Verzögerungen, absehbaren Engpässen, Produktionsausfälle usw. kann kein JIT funktionieren. Eine genaue und gut abgestimmte Choreografie machen es möglich. Dafür müssen die Informationen getaktet und ungehindert fließen.

In den aktuellen Berichten wird es immer deutlicher, dass Corona-Problem eine tiefe Vertrauenskrise zwischen Europa und China widerspiegelt.

Über welchen lückenlosen Informationsaustausch können wir hier reden?

Abhängigkeit vom Auftraggeber und umgekehrt

Die internen Lieferanten müssen sich spezialisieren und auf ihren Auftraggeber konzentrieren. Der interne Kunde muss sich auf den internen Lieferanten verlassen können. Unter diesem Blickwinkel scheint es etwas seltsam zu sein, dass die Pharmaindustrie und Apothekerverbände seit langem genau diesen wunden Punkt ansprechen und konsequent überhört werden.

Wären diese Problem früher gelöst, hätte man als Führungsperson in der höchsten Etage nicht als erfolgreicher „Feuermann“ auftreten können.

„Wir sind da um Probleme zu lösen – nicht zu verhindern. Das wäre nicht so spektakulär“. Unter diesem Motto agiert, leider, oft die Politik.

Konventionalstrafen und Qualitätskontrolle notwendig

Eine störungsfreie Produktion ist nur möglich, wenn der Prozess-Input nicht nur rechtzeitig und in ausreichender Menge, sondern auch mit der entsprechenden Qualität geliefert wird. Aus diesem Grund sind solche Steuerungsmechanismen wie Strafzahlungen sowie die kontinuierliche und lückenlose Qualitätskontrolle unentbehrlich.

Wie so eine Kontrolle im Aspekt der Globalisierung erfolgen kann, scheint nicht so klar geregelt zu sein. China setzt die Produktion aus und Indien sperrt die Exporte.

Jeder ist plötzlich wieder für sich und das wird ohne spürbare Konsequenzen beleiben.

Diese feine Choreografie in den komplexen Prozessen ist so empfindlich, dass man offen über eine Krisenanfälligkeit von JIT-System spricht.

Und nun haben wir sie – diese befürchtete Krise.

Ist JIT an dem Ganzen Schuld?

Scheinbar ja, aber…

Gehen wir einen Schritt zurück

Kunde ist König. Bevor ein JIT implementiert wird, muss man sich Gedanken über die Kunden und Kundenanforderungen machen.

Das Gesundheitswesen an sich profitiert sicherlich von einem zuverlässigen Produzenten mit einem stabilen Produktions- und Preisniveau. Die Lager können reduziert werden, Prozesse fließen, Einnahmen sprudeln, die medizinische Versorgung bleibt bezahlbar.

Diesen Weg hat die Gesundheitspolitik in Deutschland eingeschlagen und erntet nun die gesäten Probleme.

Das Problem liegt doch woanders

In den Krisenzeiten kann man nicht auf die krisenanfällige Systeme wie JIT setzen. Im privaten Haushalt legt man immer etwas Geld auf die hohe Kannte um im Fall des Falles …

Hätte man neben der elektiven Versorgung an Krisenmanagement als einen zweiten Kunden gedacht, hätte man andere Konzepte wie Sicherheitsbestände, kleinere aber konstante heimische Produktion, Listen von versorgungskritischen Medikamente usw. umgesetzt.

Im Grunde genommen hätte man damit das das Hauptproblem der Corona-Hysterie gelöst – die Unsicherheit des modernen Menschens, der mehr einem Desinfektionsmittel und Mundschutz vertraut als seinem Verstand und gesunder Immunität.

Der letzte Satz kann provokativ klingeln. Ich bitte Sie aber noch mal zu reflektieren – Corona ist für ältere, vorerkrankte Patienten und Menschen mit Immunschwäche besonders gefährlich.

Wäre es nicht sinnvoll die knappen Ressourcen zuerst an diese zu verteilen?

Und ist es wirklich ein rationaler Akt die gleichen Patientengruppen sowie alle anderen zu gefährden indem die grundsätzlich heilbare Krankheiten durch z.B. fehlende Antibiotika noch mehr Komplikationen und Todesfälle fordern?

Unabhängig von der Farbe des Schwimmanzuges muss man schon selbst schwimmen lernen.

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Chaos-Organisationen oder Schmetterling im Krankenhaus

„Wenn Leute nicht glauben, dasMathematik einfach ist, dann nur deshalb, weil sie nicht begreifen, wie kompliziert das Leben ist.“

John von Neumann

Die Macht des Schmetterlings

Der Meteorologe Edward Lorenz  hat seinen berühmten Beitrag mit der folgenden Frage tituliert: : „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“

Die Idee und das Bild waren so prägend, dass diese Frage sofort in eine Behauptung umformuliert und später als Essenz der Chaostheorie wahrgenommen wurde.

Kann also ein leichtes Insekt tatsächlich Einfluss auf globale Veränderungen nehmen? Das wäre voll im Sinne vieler esoterischen Strömungen, die versuchen für alle verständlich (und somit oberflächlich) die komplexen Zusammenhänge zu erklären.

Oder handelt es sich tatsächlich um die Existenz von hoch instabiler Systeme, die eine kleine Veränderung ihrer Elemente nicht verkraften und dadurch im Chaos versinken können?

Klingt ziemlich abstrakt. Hat aber eine große Bedeutung für das Thema LEAN-Krankenhaus.

Strukturiertes Chaos im Krankenhaus

Als ich vor Jahren die neue Assistenzarztstelle in einem Lehrkrankenhaus angetreten bin, habe ich neben einer üblichen Verwirrung in der ersten Wochen ein Gefühl der Schwerelosigkeit übermittelt bekommen. Ich wusste nicht wer für was verantwortlich war, wie die einzelnen Aufgaben zu erledigen waren und wo ich nachsehen bzw. nachfragen kann wenn Probleme nicht lösbar zu sein schienen…

Die einzige Lernmethode in dieser Schwerelosigkeit war etwas zu machen und zu beobachten gegen welche Wand mich die unglückliche Bewegung werfen wird. So konnte ich meine Grenzen im Unternehmen erkennen. Ich war fachlich kein Anfänger, die organisatorischen Probleme machten mir aber zu schaffen. Und genau hier hat mich eine meiner neuen Kolleginnen mit einem Satz getröstet: „Du wirst bald verstehen wie unser Chaos funktioniert.“ Uns dies war tatsächlich so geschehen.

Wie kann es sein, dass Chaos erlernbar ist? Wie kann man in einem Chaos-Haus gute Leistungen erbringen und dazu noch effektiv wirtschaften?

Um genau diese Fragen zu beantworten muss man sich mit der Chaostheorie näher befassen.

Entdeckung des Schmetterlingseffekts

Herr Lorenz wollte eigentlich die Konvektion in der Atmosphäre mit Hilfe einer Computers untersuchen. Dafür wurde ein mathematisches Modell entwickelt und als Programm umgesetzt. Damals dauerte es etwas länger bis man die erforderlichen Zahlen  aus dem Rechner bekam. Nach einer Kaffeepause hatte Herr Lorenz die Zahlen analysiert und so überrascht gewesen, dass er die Messungen für einen Fehler hielt. Sie schienen keinen Sinn zu machen, da die kleinste Veränderung der Eingangswerten (z.B. Aufrundung um die Anzahl der Nachkommastellen zu reduzieren) brachte absolut unvorhersehbaren Resultate. Erst nach mehrfacher Wiederholung wurde ein formaler Fehler in der Berechnung ausgeschlossen.

Was verblüffend dabei war – man konnte einen Bereich beschreiben, in dem sich alle Werte befinden werden, aber den genaueren Ort für den aktuellen Wert in diesem Bereich festzustellen war nicht möglich. Nach der Berechnung und grafischer Darstellung mehrerer Datenreihen entstand eine Schmetterling-ähnliche Struktur (s.g. seltsame Attraktor)

Abb. 1 Lorenz-Attraktor

Chaos hat eine Struktur und ist berechenbar

Und nun kommen wir zum echten Schmetterlingseffekt: werden die gleichen Werte in das System eingegeben, kommen die gleichen Ergebnisse zustande. Die chaotischen Verhältnisse betreffen nur die unterschiedlichen Eingaben. Und genau das hat Herr Lorenz unter dem „Flügelschlag eines Schmetterlings“ verstanden – unvorhersehbare Antworten auf die leicht veränderte Inputs.

Mit dieser Erkenntnis können wir uns zurück an das „scharfe“ Prozessende begeben um zu schauen was diese schöne, aber absolut abstrakte Betrachtungsweise mit der Patientenbehandlung zu tun hat.

LEAN-Krankenhaus: Prozesse verbessern

Das Wort „Prozessmanagement“ ist inzwischen zu einem Zauberwort geworden. Wir reden nicht mehr über mangelhafte Abläufe oder fehlende Strukturen. Wir betrachten unser TUN im Krankenhaus als Prozess. Bzw. als eine Prozesslandschaft aus vielen Prozessen mit Schnittstellen, Schleifen usw. Dabei fühlen sich alle, die am Prozess beteiligt sind, sich für die Prozessverbesserung verantwortlich. Und dies oft ohne sich klar zwei Fragen beantwortet zu haben:

  1. von fängt der betroffene Prozess an und wo hört er auf?
  2. wer ist der eigentliche Prozesseigner?

Um diese Antworten zu finden bzw. die fehlende Antworten zu kompensieren, werden zahlreiche Arbeitsgruppen gebildet, gemeinsame Sitzungen einberufen, oder… die „graue Zonen“ werden einfach ausgeblendet und durch spontane Lösungen überbrückt.

Und genau hier fängt das Chaos im Krankenhaus an: die Antwort unseres Systems hängt davon ab ob der Betroffene genau weiß wen, wie und wann er fragen kann.

Und ob die Frage in einer schriftlichen oder mündlichen Form erfolgen soll.

Oder ob die Erwartung von dem Vorgesetzten ist, dass der Mitarbeiter das Problem selbständig lösen muss.

Da es keine klaren Strukturen gibt und man sich oft auf (oft fehlendes) Fingerspitzengefühl verlassen muss, löst manchmal ein organisatorische Ungereimtheit („Flügelschlag eines Schmetterlings“) eine heftige Reaktion aus („ein Tornado“), die auch eine Kündigung (z.B. eines jungen Assistenzarztes oder einer Pflegekraft) zu Folge haben kann.

Damit begeben wir uns in den Bereich der hausinternen Standards und standardisierten Prozesse.

LEAN-Standard für Prozessoptimierung

Ist eine Prozessoptimierung standardiserbar? Sind alle Prozesse standardisierbar? Was bedeutet das Wort „standardisieren“?

Durch die zu abstrakte, nicht an die Medizin angepasste QM-Normen, wurde der Begriff „Standard“ für die Mediziner negativ belegt. „Wir bauen doch keine Autos!“,- das ist einer der Standardantworten auf ein Vorschlag irgendeinen klinischen Prozess zu standardisieren.

Dabei haben Standards längst in allen medizinischen Bereichen Einzug gehalten (z.B. Behandlungsstandards, Leitlinien, Best-Practice, Empfehlungen von Fachgesellschaften). Diese Tools werden jedoch oft nur als juristisch-, abrechnungs- oder QM-relevant angesehen.

Wenn ein SOP entwickelt wird, wird oft unter diesem Begriff eine Wunschliste institutionalisiert wie der eine oder der andere Prozess zu laufen hat – ohne auf die Umsetzungs- oder Kontrollmechanismen einzugehen. Geschweige denn auf die Schnittstellen und Interessenkonflikte.

Nach DUDEN bedeutet jedoch das Wort Standard „etwas, was als mustergültig, modellhaft angesehen wird und wonach sich anderes richtet; Richtschnur, Maßstab, Norm“.

Und in dieser Definition gibt es keine Angabe zu Endgültigkeit und Unveränderlichkeit dieser Maßstäbe.

Laut LEAN sind die Standards eben da um sie ständig weiterzuentwickeln.

Bei Erstellung eines Standards muss aber die richtige Ebene gewählt werden, die weder tief in die diverse operative Prozesse  eingreift, noch zu strategisch und somit zu abstrakt bleibt.

Dabei soll eine Prozessoptimierung in 3 Schritten umgesetzt werden:

  1. Stabilisieren
  2. Standardisieren
  3. Optimieren

Diese Schritte kann man als Standard für Prozessoptimierung betrachten.

Prozesstabilisierung: vom Chaos zum Schmetterling

Der erste Schritt der Prozessoptimierung ist die Bekämpfung von grauen Zonen, Eliminierung von Redundanzen, Straffung aufgeblähter, überdimensionierter Prozesse, Vereinfachung verschachtelter Abläufe, die über Jahre hinweg zu einer zwiebelartigen Struktur zusammengewachsen sind.

Am Ende dieser Phase wird das System zwar nicht ganz transparent werden. Die Insider werden jedoch in die Lage versetzt durch gezielte und präzise Inputs, stabile Antworten zu bekommen. Sie verstehen wörtlich wie das Chaos im Krankenhaus funktioniert!

So wird der Schmetterling geboren: ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der weiß wie das Problem zu lösen ist. Die Helden-Struktur eine Organisation kristallisiert sich heraus. In der Chaos-Theorie werden solche „Schlüsselmitarbeiter“ als „Inseln der Stabilität im Meer des Chaos“ beschrieben.

Im zweiten Schritt müssen die wichtigsten Prozesse standardisiert werden. Erst bei bei dieser formellen Beschreibung eigener Abläufe wird einem bewusst wie gut er seine echten Prozessen wirklich kennt.

Abb. 2 Strukturen im Black-Box einer Organisation

Die standardisierten Abläufe werden zum Grundgerüst für Veränderungen, da die vor- und nachgeschalteten Prozesse schrittweise in die Veränderung miteinbezogen werden. So beginnt eine globale Transformation des Unternehmens und dessen Kultur.

Mit einer Ausnahme: oft werden die Bestrebungen eine Struktur einzubringen im Keim erstickt. Dafür gibt es genug Gründe. Und die wichtigsten dabei sind:

  • eine unvermeidliche Machtumverteilung
  • entstehende Transparenz in den sorgsam behütete Problemzonen jeder Organisationseinheit

Und erst am Ende kommt das, was meistens ganz am Anfang angestrebt wurde – die echte Prozessoptimierung.


Effektiv verändern kann man nur dass, was man kennt. Ansonsten handelt es sich um keine Veränderung oder Optimierung, sondern um ein Forschungsprojekt  mit einem unbekannten Ausgang.


©Dr. M. Tobman http:// www.lean-kh.de

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LEAN-Transformation und Kulturwandel im Krankenhaus

Wird in einem Krankenhaus ein LEAN-Projekt begonnen, werden die, bis dahin in den grauen Zonen versteckten Probleme, sichtbar. Man hört dabei oft Sätze wie „nicht die schlafenden Hunde wecken“ oder „ins Wespennest stechen“…

Woran liegt das?

Dafür gibt es 3 Hauptursachen, die in einem LEAN-Dreieck zusammengefasst sind:

  1. Prozesse
  2. Führung
  3. Kultur

Prozesse

Man muss es klar sehen: jede wirksame Veränderung in einer Organisation verändert in der ersten Linie die etablierten Abläufe.

Und Menschen sind bekanntlich Gewohnheitstiere.

Alleine die Eliminierung offensichtlicher Verschwendungen setzt eine lange Überzeugungsarbeit voraus.

  • lange Laufwege (Station-Notafnahme-OP und zurück)
  • Warten (auf Labor, Patiententransport, Kollegen, Konsile, Röntgenbefunde)
  • Nacharbeit (Korrektur und Nachschreiben von Arztbriefen, Nachmelden von Laborwerten, vergessene Codierungen)

Mediziner, die über Jahrzehnte gelernt haben im Dienst ohne Essen und Schlaf auszukommen und bei jedem Alarm sofort loszurennen, nehmen diese Verschwendungen als Teil ihrer genuinen Aufgaben wahr.

Letztendlich ist die Anzahl der Notfallpatienten in der Ambulanz oder Höhe des Aktenstapels auf dem Arbeitstisch nicht planbar. Man muss nur fleißig und flexibel bleiben. Und das sind die Mediziner schon immer gewesen…

Und damit haben die Mediziner Recht: Krankenhäuser funktionieren und die meisten Patienten verlassen das Krankenhaus nach einer Behandlung entweder gesund oder in einem gebesserten Zustand.

Es geht aber nicht um die Qualität der Behandlung oder Behandlungsergebnisse, es geht um den Preis für diese Qualität. Und nicht nur den Preis im betriebswirtschaftlichen Sinne.

Viele Überstunden, ausgebrannte Pfleger und Ärzte, Beinahe- und echte Zwischenfälle, Patientenbeschwerden und andere Symptome weisen auf die Prozesse hin, die ihren Output- nur durch einen erhöhten Einsatz aller Beteiligten „produzieren“ können. Anders gesagt, die Krankenhaus-Organisationen befinden sich in einem chronischen Stress.

Im LEAN-Management heißt dieser Zustand MuriInflexibilität: Unfähigkeit auf weitere Anforderungen flexibel zu reagieren, da alle Kapazitäten bereits gebunden sind.

Führung

Solange die Probleme am scharfen Prozessende kompensiert werden (können), bleiben alle Führungsetagen überzeugt, dass alles in Ordnung ist. Solange man die immer wieder entstehende „Entgleisungen“ mit natürlichen Ursachen (wie nicht planbare Schwankungen des Patientenaufkommens oder fehlende Routine bei gerade eingestellten Berufsanfängern ohne Einarbeitung) erklären kann.

Wenn das scharfe Prozessende aber keine Kompensationsmöglichkeiten mehr hat, sehen sich die leitenden Mitarbeiter plötzlich mit einem akuten Problem konfrontiert, das sofort und mit allen Mitteln gelöst werden muss. Hier werden Forderungen nach mehr Personal laut…

Das funktioniert aber auch ohne zusätzliche Arbeitskräfte. In vielen Krankenhäusern herrscht nämlich eine Helden-Kultur.

Einer der Herkules-Aufgaben was es z.B. die Rinderställe des Augias auszumisten. Solche Aufgaben übernehmen oft (wenn auch ungerne) erfahrene Mediziner – Überstunden häufen sich an, Pausen zwischen den Diensten werden immer kürzer und Krankenstand der Kernmannschaft steigt. Dafür hat man das Gefühl etwas Besonderes geleistet zu haben und Held zu sein.

Das Einzige was dabei anzumerken ist: Herkules hatte einen Fluss durch die Ställe geleitet und somit vermutlich nicht nur den Unrat beseitigt, sondern alles, was dem Fluss im Wege stand und nicht befestigt war… Seine Arbeit hätte keinen differenzierten QM-Vorgaben genügt. Das Ergebnis hing ausschließlich von den Fähigkeiten des Flusswassers ab Gegenstände wegzuspülen.

Am meisten betroffen ist in dieser Phase die mittlere Führungsebene, die für die Aufrechterhaltung operativer Prozesse verantwortlich ist. Im Vergleich zu Industrie können sie nicht schnell ein paar nicht qualifizierte Kräfte aus einem Poll einstellen oder Produktion wegen mangelnder personellen Kapazitäten drosseln.

Daher florieren die Arbeitszeitfirmen und Vermittlungsagenturen. Wobei sie, medizinisch gesehen, nur eine symptomatische Therapie für chronische Prozessprobleme anbieten.

Unternehmenskultur

Obwohl die Unternehmenskultur erst an der dritten Stelle zu Sprache kommt, beinhaltet sie die beiden anderen Punkte. Prozessgestaltung und Führungsmechanismen sind ein Teil der Unternehmenskultur.

Wenn der LEAN-Dreieck – Prozesse-Führung-Kultur – aktiviert wird, werden die Probleme an allen 3 Eckpunkten gleichzeitig sichtbar.

Im Gabler Wirtschaftslexikon wird die Organisationskultur wie folgt definiert:

„System gemeinsam geteilter Muster des Denkens, Fühlens und Handelns sowie der sie vermittelnden Normen, Werte und Symbole innerhalb einer Organisation.“

Diese Definition kann als eine Variation des bekannten Eisberg-Modells aus Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Pädagogik betrachtet werden. Dabei stellen die Normen, Werte und Symbole die Eisbergspitze dar. Unter der Oberfläche können die Denkmuster, Gefühle und Automatismen einer Organisation platziert werden.

Wenn wir aber vom Kulturwandel sprechen, geht es keinesfalls um die Verschmelzung aller Eisbergschichten oder Standardisierung aller Denkmuster. Vielmehr handelt es um die gemeinsame Zielsetzung und Ausrichtung des gesamten Eisbergs auf ein Ziel.

Der Eisberg muss in ein Schiff umgewandelt werden!

Ein Schiff mit vielen Steuermännern am Bord

Das kling komisch und kaum überlebensfähig.

In den Krankenhäusern ist das jedoch Realität.

Nicht abgestimmte Zielvereinbarungen, sich ständig verändernde Rahmenbedingungen, Kostendruck, Personalsituation, hohe Spezialisierung usw. erhöhen die Komplexität des Unternehmens immens. Unter diesen Bedingungen werden die Führungsaufgaben verteilt oder delegiert. Das strategische Management wird vom operativen getrennt. Die entstehende Lücke wird dann durch Controlling, Risikomanagement und andere Tools geschlossen. Aber…

In der Medizin, im Vergleich zu Industrie, ist so eine Institution wie Management nicht etabliert

Diese Aufgaben werden an die im Prozess tätigen leitenden Mitarbeiter verteilt. Und genau das ist der Grund vieler Probleme im Krankenhaus:

Die im Prozess tätigen Mitarbeiter sind objektiv nicht in der Lage am Prozess selber zu arbeiten, da sie „prozessblind“ sind.

Warum werden viele Regeln nicht angehalten oder bewusst ignoriert?

Auch wenn bei Erstellung von Dienst- und Verfahrensanweisungen die bekannten Abläufe bis auf kleinste Details analysiert wurden.

Das Hauptproblem ist dabei die nicht abgestimmten oder nicht berücksichtigten (Sub-)Prozesse und Schnittstellen.

Diese Tatsache führt dazu, dass die Welt der Regelwerke und die gelebte Realität zueinander parallel existieren.

Um ein Kulturwandel in den Gang zu setzen muss die Organisation im ersten Schritt mit dieser Differenz konfrontiert werden. Prozessanalysen, Abstimmung und Vereinheitlichung von Richtlinien muss dabei der LEAN-Logik folgen:

Standards sind dazu da um sie ständig zu verändern

Wenn dieser Paradigmenwechsel gelingt, kann man beginnen schrittweise das Eisberg-Schiff auf das gemeinsame Ziel auszurichten. Und das ohne unendliche Diskussionen mit dem Ziel sich nur dann zu verändern, wenn die beste Lösung zu Papier gebracht wurde.

©Dr. M. Tobman http:// www.lean-kh.de

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Chirurg-Krnakenschwester-Prinzip

LEAN-Unternehmen lernen sogar bei Medizinern…

Beim Versuch in die Tiefe der Prozesslandschaft eines Krankenhauses einzutauchen wird jeder mit einem Standardsatz konfrontiert: „wir bauen doch keine Autos“.

Damit ist gemeint, dass die Abläufe in der Gesundheitsbranche:

  • nicht modellierbar
  • nicht standardisierbar
  • zu komplex
  • und absolut individuell sind

…weil jeder Patient wegen seiner Persönlichkeit, Vorgeschichte, Krankheitsbildes usw. ein Unikat sei.

Dementsprechend ist jeder Arzt ein Künstler, der durch seine Veranlagung und Ausbildung in die Lage versetzt wurde sich in so einer komplexen Landschaft zu bewegen. Er kann dank seiner intuitiven Fähigkeiten richtige Zusammenhänge erfassen und zielgenau sein Wissen einsetzen um dem Patienten zu helfen.

Autoindustrie ist hier nicht so eitel

Vor Kurzem bin ich auf der WEB-Seite von VW auf den folgenden Artikel  gestoßen:

Obwohl die Autobauer keine Menschen behandeln, wollen sie auch von den anderen Branchen etwas lernen. Uns zwar von den Krankenhäusern. Und diese Lehre heißt Chirurg-Krankenschwester-Prinzip!

Bevor wir mit dem Thema weiterfahren, ein passender Witz

Ein Forschungsinstitut hat die Aufgabe bekommen ein Vorhersage-Tool für Pferderennen zu entwickeln. Nach einem halben Jahr harter Arbeit haben die Projektleiter stolz ein Programm präsentiert, das in der Lage war mit 70% Wahrscheinlichkeit den Gewinner unter den Pferden zu ermitteln.

Und das nur mit 2 Einschränkungen: das Modell funktionierte nur für runde Pferde im Vakuum…

Modelle schränken grundsätzlich die Realität ein. Nichtsdestotrotz liefern sie beim richtigen Einsatz reale Erkenntnisse .

Zwei runde Pferde im OP

Das Chirurg-Krankenschwester-Prinzip ist ein fester Teil der LEAN-Denkweise. Um es zu verstehen, müssen wir uns jedoch in die Haut einen nicht medizinischen Betrachters im OP versetzen.

Idealerweise funktioniert eine Operation so:

  • nach einer Vorbereitung, Lagerung usw. führt Chirurg die geplante Operation durch
  • die OP-Krankenschwester reicht ihm dabei die erforderlichen Instrumente und Materialien ein
  • somit kann der Chirurg sich auf die reine Wertschöpfung konzentrieren (Kernprozess)
  • die OP-Schwester spielt hier die Rolle eines Zulieferers im Just-In-Time Modus(Unterstützender Prozess)

Dieses Prinzip klingt wie aus der täglichen Routine eines Krankenhauses herausgegriffen. Bei der näheren Betrachtung stellt es nur eine sehr vereinfachte Beschreibung einer Rollenverteilung dar. Obwohl diese Sichtweise die Assistenten, Freestyle-Aktionen  und sonstige Reibungen im echten OP-Prozess ausblendet, versetzt sie uns in die Lage auf das Geschehen im Krankenhaus prozessorientiert zu schauen.

Und das auf der Ebene der echten Patientenbehandlung. Nicht bei Logistik, nicht bei der Aufnahme, sondern mitten drin.

Man kann drei wichtige Aspekte aus diesem Prinzips ableiten:

1. Transparente und ausgetaktete Logistik für die Kernprozesse

Im Grunde genommen, handelt es sich um das Kunden-Lieferanten-Verhältnis. Und das mit perfekter Just-In-Time-Lieferung notwendiger Instrumenten, Materialien sowie Service-Leistungen wie z.B. kurz Kamera halten.

In der ersten Linie handelt es um ein logistisches Prinzip. Es geht um die folgenden Veränderungen:

  • Eine klare Trennung zwischen Leistungserbringung und logistischen Aufgaben
  • Scharfe Aufgabendefinition und Tätigkeitsbeschreibung für die einzelnen Prozessteilnehmer
  • Klare Zuweisung von Verantwortungsbereichen
  • Standardisierte Vorgehensweise

Obwohl diese Anforderungen als selbstverständlich klingen, zeigt die Krankenhausroutine deutliche Abweichungen von diesen „Idealvorstellungen“. Wie oft wird das OP-Pflegepersonal als Assistenz eingesetzt und kann sich deswegen nicht ihrer Hauptaufgabe (Logistik) voll widmen? Wie wird die Vollständigkeit von Leihstellungen gewährleistet? Ist es überhaupt möglich bei der riesigen Anzahl unterschiedlicher Eingriffe jede Pflegekraft in jedem Saal einzusetzen? Wie oft werden noch kurz vor dem OP spezielle Instrumente bzw. Implantate zusammengesucht?

Das sind nur einzelnen Bespiele aus der klinischen Routine, die durch die Umsetzung des Chirurgen-Krankenschwester-Prinzip besser geregelt werden können.

2. Ergonomie als Maßnahme zu Reduzierung von Verschwendung

In der zweiten Linie geht es um die Ergonomie am Arbeitsplatz.

Ergonomie spielt in der Produktion eine große Rolle. Spezielle Sitze, in einer bestimmten Reihenfolge in Griffweite ausgelegte Instrumente verkürzen Laufwege und körperliche Belastung erheblich. Durch die Reduzierung unnötiger Handgriffe und Laufwege lassen sich viele Arbeitsschritte einsparen.

Im Krankenhaus spielt ergonomische Gestaltung ebenfalls eine wichtige Rolle. Man kann alle ergonomischen Maßnahmen in drei Gruppen unterteilen:

  • technische und bauliche
  • planerische und organisatorische
  • personenbezogene

Zu der ersten Gruppe gehören z.B. Gestaltung ausreichend großer Verkehrswege, Planung Abstellräume für Wäschewägen, OP-Tische, automatische Türöffner usw.

Zu der zweiten Gruppe kann man ergonomische Lagerräume auf Stationen und OP sowie Lagerungshilfen zählen

Zu personenbezogenen Maßnahmen gehören Schulungen, Anschaffung spezieller Tische und Stuhle sowie aktive Arbeitsplatzgestaltung durch die Mitarbeiter.

3. Integration des Inputs und des Outputs in die Prozessbetrachtung

Die dritte Facette der Chirurg-Krankenschwester-Prinzips ist eine standardisierte Verbindung zwischen den Prozessen in eine Wertschöpfungskette.

Wenn sich ein „Chirurg“ auf die reine Wertschöpfung konzentrieren muss, dann müssen alle seine Nebentätigkeiten wie z.B. Einbestellen von Patienten, Einschleusen und Lagern reduziert werden. Das Gleiche gilt auch für die Entlagerung und Ausschleusen.

Im Grunde genommen muss der „Chirurg“ im Prozess bleiben ohne sich um Input und Output kümmern zu müssen. Das erweitert die Funktion der „Schwester“  bzw. setzt eine funktionelle Teilung innerhalb dieser Gruppe voraus: Schleusepersonal, Lagerungspflege usw.

Und das alles ist mit einer sorgfältigen Planung und Standardisierung verbunden. Solange es nicht der Fall ist, müssen Verschwendungen im Wertschöpfungsprozess in Kauf genommen werden.

Grenzen des Chirurg-Krankenschwester-Prinzips

Wie oben bereits erwähnt, bewegen sich in den Krankenhäusern keine runden Pferde. Die echten Prozesse sind ebenfalls sehr weit von den idealen Vakuum-Bedingungen entfernt. Daher hat auch das Chirurg-Krankenschwester-Prinzip  gewisse Einschränkungen:

  • Bei einer breiten Palette Behandlungsmethoden wächst der Bedarf nach spezialisiertem und eingespielten Personal
  • Koordinationsaufwand steigt: unterstützende Prozesse sind auch örtlich verteilt (Station-OP-Schleuse-Vorraum-OP-Saal)
  • Sind Prozesse nicht standardisiert (bzw. standardisierbar), wird eine koordinierte Zusammenarbeit kaum möglich sein
  • Verteilung von operativer Verantwortung für das Ergebnis auf mehrere Schulter kann unter Umständen mit juristischem  Regelwerk kollidieren
  • Es werden versteckte Kompensationsmechanismen ausgeschaltet, die zwar risikobehaftet sind, machen aber eine    Versorgung in vielen Situationen erst möglich

Zum Schluss ein paar Anmerkungen zur Kompensation

Die aktuelle Entwicklungen im Krankenhaus sind durch Arbeitsverdichtung bei gleichzeitig immer dünner werdender Personaldecke gekennzeichnet. Es werden Begriffe wie „Delegation“ und „Substitution“ ärztlicher Leistungen diskutiert.

Steigende Aktivität im OP, Personalmangel, Entstehung zahlreicher Spezialgebiete führen dazu, dass die Pflegemitarbeiter sich zunehmend weigern zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.

Eines der Hauptgründe dafür ist eine falsche Umsetzung des Chirurg-Krankenschwester-Prinzips:

Wird Mitarbeiter in der wertschöpfenden Tätigkeit eingesetzt, kann er sich an keinen unterstützenden Prozessen wie Instrumentierung beteiligen. Das führt tatsächlich dazu, dass die OP-Schwester z.B. die Kameraführung übernimmt und der Chirurg fängt an sich selbst vom OP-Tisch zu bedienen.

Die richtige Umsetzung des Chirurg-Krankenschwester-Prinzips kann in diesem Fall so aussehen:

  • Aufstockung oder Umverteilung des Pflegepersonals
  • Alternativ Einstellung von CTA`s
  • Erstellung einer klaren Tätigkeitsbeschreibung für die Pflege als OP-Assistenz
  • Einarbeitung und Etablierung von Befähigungsnachweisen „OP-Assistenz“
  • eine klare und transparente OP-Planung
  • eine Dienstanweisung mit der Klausel, dass Instrumentieren und Assistieren durch eine Person untersagt wird

Somit wären das wertschöpfende Kernprozess „Operieren“ vom unterstützenden Prozess „Instrumentieren“ klar getrennt.

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Just In Time (JIT)

Prozesse im Fluss halten

Just In Time ist ein Organisationsprinzip, nach dem das richtige Teil, in der richtigen Qualität, zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge und am richtigen Ort ankommt. Deswegen wird dieser Prinzip auch 5R-Prinzip genannt.

Es geht nicht nur um die Logistik – es handelt sich um Prozesse, bzw. um die gesamte Prozesslandschaft. Mit allen Schnittstellen, Schaltpunkten, Abzweigungen usw.

„Just In Time“ bedeutet Ausrichtung aller Abläufe auf den Kundenbedarf. Darauf wird die gesamte Westschöpfungskette ausgerichtet.

Der Kunde wird zum echten König.

Wurden z.B. 100 weiße und 200 gelbe Autos bestellt, macht es keinen Sinn 200 weiße und 130 gelbe Autos zu produzieren. In diesem Fall müssen die nicht bestellten weißen Autos gelagert und evtl. später zu einem Aktionspreis verkauft werden. Auf der anderen Seite, die Besteller von gelben Karossen, die kein Auto gekriegt haben, werden Ihnen die Höhle heiß machen…

JIT in der Produktion

Was hat das ganze mit einem Krankenhaus zu tun? Bei uns wird nichts vorbestellt und der Patient stand immer schon im Vordergrund ärztlichen Handels und pflegerischer Aktivitäten.

Ob es immer so ist, diskutieren wir später. Jetzt ein bisschen Theorie.

Das gesamte Konstrukt von JIT ruht auf nur 3 Säulen:

  1. Taktzeit
  2. Kontinuierlicher Fluss
  3. Pull System

Unter Taktzeit wird die Zeit verstanden, in der eine festgelegte Menge eines Produktes hergestellt wird. Dieser Parameter wird benutzt um die unterschiedlich schnelle Produktionsschritte miteinander zu verbinden bzw. auszutakten. Ist eine Bohrmaschine in der Lage 2 Teile pro Minute zu produzieren aber die darauf folgende Schweißanlage nur 1 Teil pro Minute fertigen kann, wird eine nicht ausgetaktete Produktion zu einem Überschuss gebohrter, aber nicht geschweißter Teile vor der Schweißanlage führen.

Kontinuierlicher Fluss bedeutet folgendes:

  • eine Produktion von kleinen Mengen damit der gesamte Prozess flexibler gestaltet werden kann
  • abgestimmte Reihenfolge einzelner Produktionsschritte, was die Prozess- und somit die Ergebnisstabilität gewährleistet
  • One-Piece-Flow – Ausrichtung des gesamten Prozesses auf die Einzelstückproduktion mit dem Ziel die Lagerkapazitäten auf das nötigste Minimum zu reduzieren. Dadurch wird der gesamte Verwaltungsaufwand und entsprechende Prozessstörungen eliminiert.

Somit verschwindet die Verschwendung.

Pull-System steht als Gegensatz zum Push-System. Hier handelt es sich um den Einfluss einzelner Prozessschritte auf den Gesamtablauf. Wenn die fertigen Teile in den nächsten Prozessschritt nahtlos geschickt werden, spricht man von einem Push-System. In diesem Fall muss der Mitarbeiter oder die Maschine diese „reingepresste“ Menge bewältigen. Somit wird der nächste Prozessschritt durch den vorherigen getaktet.

In einem Pull-System „zieht“ der nächste Schritt die Produkte aus dem vorherigen Schritt nur dann, wenn er in der Lage ist die zu verarbeiten. Das Tempo wird dabei durch den Kundenbedarf vorgegeben.

JIT im Krankenhaus

Viele meinen, dass Krankenhäuser in der Lage sind eine beliebige Menge von Patienten zu jeder Zeit mit entsprechender Qualität behandeln zu können. Daher kann alleine die Erwähnung des Begriffs „Taktzeit“ zu unvorhersehbaren Reaktionen der Mediziner führen…

Die Triage, Traumanetzwerke, Verlegungen in die Einrichtungen der anderen Versorgungsstufe, Abmeldungen bei der Leitstelle widerlegen aber diese These.

Tatsache ist, dass eine gute Versorgung nur im Gesundheitssystem möglich ist. Das heißt: jedes einzelne Haus muss wissen wie es aus dem gesamten Patientenaufkommen die richtigen Patienten selektiert, die zur richtigen Zeit, auf dem richtigen Niveau und in der richtigen Fachabteilung behandelt werden.

Und obwohl die Akutkrankenhäuser meistens fremd-getaktet sind, werden Kapazitäten jedes Krankenhauses auf eine bestimmte Patientenmenge ausgerichtet.

Ganz wichtig ist zu unterstreichen, dass JIT bei elektiven Patienten und Notfallpatienten unterschiedlich umgesetzt wird. Die Prinzipien bleiben jedoch gleich!

Man könnte meinen, dass z.B. eine „Los-Fertigung“ für Krankenhäuser fremd ist und im Behandlungsprozess immer ein One-Piece-Flow stattfindet. Wenn man sich aber mal in die OP-Schleuse hinstellen würde, dann würde er bald merken wie die peripheren Stationen Ihre Patienten zum festgelegten Zeitpunkt losschicken (Push) und wie diese Patienten vor der OP-Schleuse warten müssen, weil bei 8 OP-Sälle die OP-Schleuse nur 2 Patienten gleichzeitig abfertigen kann…

Und noch schlimmer wird es, wenn die Schleuse-Mitarbeiter mal krankheitsbedingt ausfallen und somit Einschleusen länger dauert als üblich, da sich dadurch die Taktzeit der Schleuse ändert.

Somit kommen wir dem Thema ganz nah

Schauen Sie die beiden Fotos am Anfang dieses Beitrags an. Man könnte meinen, dass es hier um eine große Operation handelt. Viele Menschen im Grün in einem Saal. In der Realität handelt es sich um eine Arthroskopie, die (mit Stoppuhr gemessen) an diesem Tag nach 8 Minuten Schnitt-Naht-Zeit fertig war.

Man hat nur versucht durch eine Los-Fertigung die nicht getaktete Patienteneinlieferung in den OP zu kompensieren.

Versuchen wir den Gedankengang nachzuvollziehen

  • als erster Eingriff ist eine ambulante Arthroskopie geplant
  • eine Arthroskopie dauert in der Regel 10-20 Minuten (Schnitt-Naht)
  • als nächstes kommt ein größerer Eingriff (Knieprothese)
  • erfahrungsgemäß ist der Haustransport wie Deutsche Bahn – unzuverlässig
  • um die Warte- und Wechselzeiten zu vermeiden werden die beiden Patienten fast gleichzeitig einbestellt und eingeschleust
  • und genau hier fangen die Probleme der Los-Fertigung an:

Da die Prozesse nicht abgestimmt sind, muss der zweite Patient zwischengeparkt (ein Zwischenlager) werden. Er wird im OP-Einleitungsraum abgestellt. Um ihn rechtzeitig vorzubereiten (8-Minuten Arthroskopie), wird ein zusätzlicher Anästhesist aus einem anderen Saal geholt. Da die erste OP nur 8 Minuten dauert, kommt bereits die für die zweite OP eingeteilte Assistenz. Dabei steht der Fuß des OP-Tisches mitten im Saal uns stört alle dabei den zweiten Eingriff vorzubereiten…

Für die Patienten sind die Folgen aber noch verehrender: der erste Patient hat Säulenzeit von 1 Stunde (8 Minuten Schnitt-Naht !!!) und der zweite verbringt insgesamt 3 Stunden im OP auf einem Tisch bei Schnitt-Naht knapp über 1 Stunde.

Wäre hier JIT-Prinzip umgesetzt, könnte man den Ablauf so vorstellen:

  • der erste Patient wird einbestellt, vorbereitet und gelagert
  • erste Operation wir begonnen und erst am Ende des ersten Eingriffs wird der zweite Patient einbestellt (Cave: Zeit für Entlagerung, Ausschleusen und OP-Saal-Reinigung mitberechnen!)
  • Der zweite Patient kommt Just In Time um vorbereitet und danach in den OP-Saal gefahren zu werden….

Das wären der kontinuierlicher Fluss und One-Piece-Flow

Fazit

Gut getaktete Prozesse, One-Piece-Flow und „Pull statt Push“ haben nicht nur mit industrieller Produktion zu tun. Beim Schockraumalarm muss jeder wissen wann und wo er erscheinen und welchen Beitrag er oder sie zu Notfallversorgung leisten muss. Es handelt sich nämlich um ein nicht kontrollierbares Push-System. Daher muss man sich gut vorbereiten um schneller und effektiver reagieren zu können. Dieses Vorgehen hat sich in den „fremd-getakteten“ Krankenhäusern fest etabliert.

Dieses Push-Modell wird aber auch gerne auf die andere Abläufe im Krankenhaus übertragen. Viele elektive Patienten werden gleichzeitig einbestellt, die stationäre Aufnahmen werden in der Ambulanz mit Notfallversorgung vermischt, Patienten tauchen auf den Stationen unangemeldet auf… Das sind nur die einzelnen Beispiele nicht getakteter Prozesse.

Wenn wir aber die Sicht auf Krankenhaus vom „ein Unternehmen“ zum „ein Unternehmen, das aus mehreren Einzelunternehmen besteht“ wechseln, werden wir feststellen, dass ein Push-System nur in wenigen Einzelunternehmen unvermeidbar ist. Das Betrifft im Grunde genommen nur die äußeren Posten: die Notaufnahme und evtl. die Intensivstation. Die restlichen Prozesse können durchaus im Sinne eines Pull-Systems ausgerichtet werden.

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5-S-Methode


Ordnung muss sein, aber was bedeutet „Ordnung“?

Es ist ja nicht so, dass in den Krankenhäusern keine Ordnung herrscht. Jeder Wahnsinn hat nämlich seine innere Logik.

Chaos-Haus

Vor vielen Jahren habe ich in einem neuen Krankenhaus angefangen. Eine Kollegin hat mich damals nach den ersten paar Tagen mit einem kurzen Satz getröstet: „keine Angst, Du wirst bald verstehen wie unser Chaos funktioniert“. Und es war tatsächlich so geschehen.

Nun kann ich fast regungslos täglich solche Bilder wie oben sehen. Ich verstehe auch die innere Logik von Aktenbergen, nicht abgenommenen Labors und falsch beklebten Konsilscheinen. Das Einzige was mich stört ist der fehlende Zusammenhang zwischen dieser Ordnung und tatsächlichen Prozessen.

Die Unordnung (zer)stört Prozesse

Auf dem obigen Bild kann man zwei Symbole erkennen: an der Wand hängt eine Notarztjacke und in der Mitte des Tisches steht ein Energy Drink. Mögliche Deutung: keine Zeit und keine Kraft für diesen Kram(pf).

Bei nüchterner Betrachtung kann man die folgenden „Verbesserungsvorschläge“ formulieren

  • Tagesgeschäfte wie Sono-Befunde und Konsile gehören nicht auf einen Tisch mit den Archivmappen
  • Konsile und Sono-Befunde müssen sortiert werden
  • Um zu gewährleisten, dass die Schreibkräfte Ihre Diktate auch richtig zuordnen können, müssen die dazugehörigen Dokumente indiziert bzw. nummeriert werden

Bestände-Verwaltung ist zeitintensiv

Man sieht hier, im Grunde genommen, ein klassisches LEAN-Problem: Bestände.

Sie sind immer ein Hinweis auf Prozessstörungen. Und das größte Problem von Beständen ist der ZEIT- und PERSONALAUFWAND. Die Bestände müssen nämlich verwaltet werden.

Anders ausgedrückt, der Zeitaufwand wird immer größer, wenn die Prozesse nicht im Fluss sind. Zuerst kommt es zu kleineren Störungen. Danach schalten sich viele Kompensationsmechanismen an. Und erst dann werden die Berge nicht erledigter Arbeit immer größer.

Wofür stehen die 5 „S“

Um diese Verschwendungen zu eliminieren wurde die 5S-Methode entwickelt. Sie wird als Grundlage der kontinuierlichen Verbesserung angesehen. Dabei steht die Abkürzung ‚5 S‘ für die fünf Schritte, in denen Ordnung am Arbeitsplatz erreicht werden kann:

1. Sortieren, jap. Seiri (Ordnung schaffen)

2. Sichtbare Ordnung einhalten, jap. Seiton (Ordnungsliebe)

3. Sauber halten, jap. Seiso (Sauberkeit)

4. Standardisieren, jap. Seiketsu (persönlicher Ordnungssinn)

5. Standards einhalten und verbessern, jap. Shitsuke (Disziplin)

Ein ordentlicher Arbeitsplatz spart Zeit und erhöht die Effizienz. So können z.B. die Patientenakten die Reihe nach abgearbeitet werden ohne jedes mal Zeit für die Sortierung oder Suche zu verschwenden.

So ein Vorgehen ermöglicht außerdem ein visuelles Management. Werden z.B. die Akten in die namentlich markierte Ablagefächer gelegt, kann ohne einen großen Aufwand die Belastung und die Leistung jeden einzelnen Assistenzarztes beurteilt werden.

Viel wichtiger ist jedoch die Visualisierung von Prozessproblemen.

Eine Analyse gehorteter Akten kann genau zeigen wo die Probleme liegen. Es ist fast unwahrscheinlich, dass in diesen Stapeln die Privatpatienten des Chefs zu finden sind…

5-S im Krankenhaus

Diese Methode ist eine der bekanntesten Methoden des LEAN-Managements. Entwickelt wurde sie für die Arbeitsplätze in den Fabriken, wo z.B. Eisenspänen auf der Arbeitsplatte nicht nur zu einer Arbeitsverzögerung sondern auch zu ernsthaften Unfällen führen können. Außerdem kann die Suche nach einem passenden Instrument zu erheblichen Ablaufstörungen und somit zu echten Geldverlusten führen.

Versteckte Ressourcen

Im Krankenhaus sieht die Situation nicht viel anders aus. Mit dem einzigen Unterschied – hier leiden nicht nur die Qualität oder Erlöse. Hier leiden die Patienten.

Wir bauen nämlich keine Autos.

Über wachsende Bürokratisierung der Medizin zu schimpfen gehört zum Standardprogramm jeder Abteilung. Das Thema Nummer zwei ist das Personalmangel. Am Platz drei landet die „katastrophale Organisation in unserem Laden“.

Viel weniger wird über verschwendete Ressourcen gesprochen.

Arbeitsplätze im Krankenhaus

Die Visiten werden ständig unterbrochen, da auf dem Verbandswagen Instrumente oder Verbandsmaterialien fehlen oder weil der Mülleimer nicht rechtzeitig geleert wurde.

Ein weiteres Beispiel sind die improvisierten und festen Zwischenlager. Um die drohenden Mängel zu vermeiden, werden die häufigsten Instrumente und Materialien in einem kleinen Schrank gehortet. Ohne klare Ordnung, ohne Bezeichnungen an den Körben und ohne einen klaren Plan für die Bestückung und Überprüfung des Mindesthaltbarkeitsdatums…

In der Folge werden z.B. im OP-Einleitungsraum ständig die passenden Kathetersysteme und Nadeln gesucht. Wird ein neuer Mundschutz gebraucht, muss der Springer unter Umständen in den anderen OP-Saal laufen.

Wie kann 5-S im Krankenhaus umgesetzt werden

Die 5-S-System-Prinzipien sind selbsterklärend und können relativ einfach in die Praxis eingeführt werden. Statt Sachen zusammen zu suchen besteht dann die Arbeit idealerweise nur aus wertschöpfenden Arbeitsschritten :

Sortieren. Z.B. die Viggos werden nach Farbe und Größe getrennt aufbewahrt, ebenso die Mandrins. Die Spritzen ebenso. Für die häufigsten Medikamente auf Station gibt z.B. einen separaten Korb, in dem die Medikamente nach dem Namen sortiert sind.

Sichtbare Ordnung einhalten. diese Prinzip ist schwieriger umzusetzen. Man stolpert über die Unternehmenskultur. In dieser ist z.B. fest verankert ist, dass die Aufbereitung von Verbandswägen die Aufgabe vom Pflegepersonal ist. Damit werden die benutzen Instrumente und Materialien einfach wild durcheinander auf die Arbeitsfläche geworfen.

Sauber halten. Die Sauberkeit im Krankenhaus bedarf keiner weiteren Erklärung. Es geht aber um eine andere „Sauberkeit“. Oft ragen die verwendeten Blutabnahmesets aus einem überfüllten gelben Behälter raus… Hier besteht aber genauso wie in der Industrie eine Verletzungsgefahr mit Folgen.

Standardisieren. dieser Begriff wird oft missverstanden. Viele Mediziner würden es sogar zum Unwort des Jahrzehntes erklären. Bei der Standardisierung geht es jedoch im Vordergrund nicht um die Nivellierung persönlicher Unterschiede, sondern um das Schaffen einer gemeinsamen Basis für die Zusammenarbeit. Ein visueller Standard für die Aufbereitung von Wandvorrichtungen kann sehr viel Ärger und Missverständnisse sparen. Unter einer Voraussetzung: bei der Standardisierung müssen Interessen aller beteiligen Mitarbeitern berücksichtigt werden. Lassen Sie ein Standard aus der Sicht des „Endnutzers“ erstellen, laufen sie die Gefahr alle Probleme auf die vorherigen Schritte zu verschieben. Das führt unter Umständen zu einer ständigen offenen Konfrontation und/oder stillem Widerstand.

Standards einhalten und verbessern. Aus der Sicht des Risikomanagements unterscheidet man Verstöße, unsichere Handlungen und Fehler. Fehler kann jedem Mitarbeiter unterlaufen. Eine unsichere Handlung ist eher für die unerfahrenen Mitarbeiter charakteristisch. Die Verstöße sind für die erfahrene Mitarbeiter typisch. Das häufigste Motto dabei „haben wir schon immer so gemacht“.

Das sind eben die Erfahrenen, die nicht nur zum Einhalten von Standards, sondern auch für derer Weiterentwicklung gewonnen werden müssen. Ein Standard ist nichts anderes als zu Papier gebrachte Best-Practice-Routine. Wie man bei Toyota sagt : „die Standards sind dazu da um sie zu verändern“.

Und das ist der Hauptunterschied zwischen westlicher und östlicher Denkweise

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Kanban: Bestellkarte vom internen Kunden an den internen Lieferanten.

LEAN-Krankenhaus: Bestände als Zeichen einer Prozessstörung und Kanban als ein effektives Werkzeug um diese Probleme zu lösen

Was ist Kanban?

Es gibt verschiedene Arten von Kanban. Dieses LEAN-Werkzeug wird in der agilen Softwareentwicklung oder Projektmanagement anders gestaltet, als in der Autoindustrie. Im Grunde genommen, jedes System, in dem die Informationsweitergabe mit speziellen Karten erfolgt, kann man als Kanban bezeichnen.

Das Wort „Kanban“ bedeutet nichts anderes als eine „Bestellkarte“. Soweit so gut, aber wer bestellt bei wem in einer großen Autofabrik? Und was haben solche Tools im Krankenhaus zu suchen?

Abteilungen als Einzelunternehmen

Als erstes müssen wir lernen verschiedene Abteilungen und Organisationseinheiten eines Krankenhauses als Einzelunternehmen zu betrachten. Notaufnahme – „Unternehmen 1“, chirurgische Station – „Unternehmen 2“, OP – „Unternehmen 3“ usw. Danach stellen wir uns zwei Fragen:

  1. Welche Aufgaben haben die einzelnen „Unternehmen“ in der gesamten Wertschöpfungskette?
  2. Welchen Input brauchen sie um ihren Output zu erzeugen?

Diese Begriffe mögen für Mediziner fremd klingeln. Derer Bedeutung ist jedoch sehr einfach: wir nehmen kranke Patienten auf (Input) um sie zu behandeln und (idealerweise) gesund zu entlassen (Output). Dabei verbrauchen wir Ressourcen (Arbeitszeit, Materialien usw.) .

Geschäftsverhältnisse zwischen Einzelunternehmen

Wie sieht es für unsere Einzelunternehmen aus?

Sie brauchen ebenfalls Input um ihren Output zu produzieren! Die Notaufnahme bekommt einen Patienten eingeliefert (Input), er wird untersucht, behandelt und anschließend auf eine Station verlegt (Output). Die Station übernimmt den Patienten (Input) und bereitet ihn für einen Eingriff vor. Anschließend wird er in den OP transportiert (Output) usw.

In diesem ganzen Prozess ist aber nicht nur die Reihenfolge wichtig (Kunden-Lieferanten-Verhältnis), sondern der sich verändernde Zustand des Patienten: in der Notaufnahme handelt es sich um einen „unklaren Fall“. Nach einer Untersuchungen steht aber dann eine (Verdachts-)Diagnose fest. Auf Station kommt ein diagnostizierter, aber nicht vorbereiteter Patient, der für den OP vorbereitet werden muss. Im Idealfall entspricht der Output von der Station dem „bestellten“ Input des OP… Im Idealfall…

In den weiteren Abschnitten versuche ich die Grundideen von Kanban am Beispiel einer OP-Schleuse zu erklären. Aber zuerst eine kleine Analogie:

Keiner kommt auf die Idee einen großen Einkauf ohne Einkaufsliste zu machen. Oder noch absurder – etwas in einem Katalog zu bestellen ohne genau zu wissen was man eigentlich will. Wir bestellen nicht irgendein Kleid oder beliebig große Schuhe. Es gibt einen alten Witz über einen Käufer, der in eine Lebensmittelgeschäft ein halbes Kilo Essen kaufen wollte…

Das, was für einen privaten Haushalt absurd klingt, findet tagtäglich in unseren Krankenhäusern statt.

Und nun kommen wir zu unserer OP-Schleuse.

Diese Abteilung muss für alle organisatorischen Probleme aller vorgeschalteten Einzelunternehmen im Behandlungsprozesses geraden stehen. Ob der Patient nicht richtig vorbereitet wurde, abnehmbare Zähne mitgebracht hat oder gar keine gültige OP-Aufklärung in der Akte zu finden ist, müssen die OP-Mitarbeiter die Vorbereitung nachholen (rasieren, Nabel pflegen usw.), Zähne herausnehmen und dafür sorgen, dass sie nicht verloren gehen oder die fehlende Unterlagen suchen bzw. organisieren…

Die Situation in die OP-Schleuse sieht also so aus, als würden sie immer wieder „ein halbes Kilo Essen“ bestellt haben. Die Mitarbeiter wissen nämlich nie genau was sie „bekommen“. Mal kommen gut vorbereitete stationäre Patienten, mal gar nicht vorbereitete ambulante 5-Minuten-Eingriffe oder tagesgleich Patienten von den niedergelassenen Kollegen, die sowieso andere Standards im Kopf haben, als die Hausabteilungen…

Schrittmacher-Prozess

Wo liegt das Problem? In LEAN-Begrifflichkeit stellt der OP den Schrittmacher-Prozess dar. Damit ist der „Flaschenhals“ im Gesamtprozess gemeint. Werden zu viele Patienten eingeliefert – ist der „Flaschenhals“ nicht in der Lage sie durchzulassen. So kommen die Bestände zustande: vor der OP-Schleuse einstehen Warteschlangen aus Patientenbetten, auf den Stationen müssen die geplanten Patienten auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet werden (Bestand „nicht versorgte Patienten“)…

Dabei sind die Ursachen mannigfaltig: nicht planbare Situationen während einer Operation, unterschiedlich schnelle Operateure, keine zuverlässige Planung, echte und vermeintliche Notfälle, Personalmangel, verschiedene Patientenströme: tagesgleich, stationär, ambulant…

Außerdem haben ständige politische und ökonomische Veränderungen in der Medizin, Spezialisierung und ständiges Wachstum des Unternehmens sowie viele andere Faktoren dazu geführt, dass Anzahl parallel laufender Prozesse und entsprechenden Schnittstellen unübersichtlich wurde…

Um sich einen Überblick in dieser komplexen Landschaft zu verschaffen kann man mit dem Schrittmacher-Prozess beginnen und hier ein Kanban implementieren.

Kanban einsetzen um die Bestände schrittweise zu reduzieren

Da sich ein „Pool“ von schlecht vorbereiteten Patienten in der OP-Schleuse angesammelt hat, entscheiden Sie sich ein Kanban in der OP-Schleuse einzusetzen. Es handelt sich dabei um ein Kanban mit Kontrollfunktion. Ziel Ihres Vorhabens ist nicht nur Probleme zu Visualisieren und die Ursachenforschung zu betreiben. Sie können direkt am „Eingang“ Ihres Einzelunternehmens namens „OP“ die Problemfälle „markieren“ um die Information an die Mitarbeiter im Op-Saal weiter zu geben und somit die Effizienz des kritischsten Prozesses zu erhöhen.

Es bringt Ihnen nicht viel die Stationen mit zusätzlichem Personal auszurüsten, wenn durch die hohe Geschwindigkeit der OP-Vorbereitung die Schlangen an der OP-Schleuse größer werden…

Praktisches Beispiel

Eines der größten Probleme in unserer OP-Schleuse stellte die präoperative Pflichtdokumentation dar. Um die Situation analysieren zu können, haben wir uns für die Farbcodierung entschieden (siehe Bild oben): rote Karte – mangelhafte OP-Aufklärung, gelbe -Anästhesie-Aufklärung, blaue – präoperative Checkliste…

Die Karten wurden durch die Mitarbeiter der Schleuse vergeben und auf der Kanban-Tafel erfasst. Sie lieferten uns Informationen über die Struktur unserer „Bestände“ und derer Ursachen. Wir haben erfahren welche Stationen, welche Fachrichtungen, welche Patientengruppen usw. die Prozesse im OP am meisten gestört haben. Und fingen an mit diesen empirischen Daten die gesamte Wertschöpfungskette vom Schrittmacher-Prozess rückwärts umzugestalten. Das ist eine Teilliste abgeleiteter Maßnahmen:

  1. Es wurden unterschiedliche Aufnahmewege und damit verbundene Dokumentationsabläufe analysiert: stationär, tagesgleich, vorstationär, ambulant, akute Verlegungen aus nicht chirurgischen Stationen usw.
  2. Das einheitliche OP-Anmeldeformular wurde eingeführt: elektronisch mit vorbelegten Auswahlmöglichkeiten bzgl. Eingriffs, Pflichtfelder über statt gehabte OP- und Anästhesie-Aufklärungen usw.
  3. Die WHO-Checkliste und die präoperative Checklisten wurden angepasst: z.B. Entwicklung unterschiedlicher Checklisten für die ambulanten und tagesgleichen/stationären Patienten
  4. Ein Standardvorgehen bei Problemsituationen in der Schleuse wurde entwickelt.

Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Anzahl Problemfälle bzgl. OP-Aufklärungen sich innerhalb eines Jahres von 20% auf 2% reduziert hat. Und sie ist weiter fallend…

Eine kurze Anmerkung am Ende

Die Kanban-Methode ist im Krankenhaus gar nicht neu. Eine präoperative Checkliste z.B. beschreibt ganz genau Anforderungen an die präoperative Vorbereitung eines Patienten. Die Grundidee dieser Checkliste ist die „Qualität“ der Vorbereitung zu garantieren und unter Anderem den richtigen Input an der OP-Schleuse zu gewährleisten. Zwei wichtige Punkte können eine präoperative Checkliste in ein Kanban umwandeln:

  • jeder Einzelunternehmen muss für die Qualität seines Outputs verantwortlich sein. Das bedeutet, dass die Patienten mit der mangelhaften OP-Vorbereitung eine Station gar nicht Richtung OP verlassen dürfen
  • jeder Einzelunternehmen wird in die Lage versetzt entsprechende Input-Qualität einzufordern und b.B. eine mangelhafte Lieferung ablehnen. Dass heißt, dass z.B. die Mitarbeiter an der OP-Schleuse in der Lage sind das Einschleusen eines Patienten abzulehnen. Dafür braucht man aber transparente Regeln.
No Comments AllgemeinLEAN-Glossar für Mediziner

LEAN-Management im Krankenhaus vom Mediziner für Mediziner

Der Begriff LEAN-Krankenhaus ist bereits fest etabliert. Dieses Managementsystem ist verlockend – schlanke Führungsstrukturen, keine überflüssige Kapazitäten – weder räumlich, noch personell, schlanke Prozesse, keine Verschwendung und das Zauberwort „Effizienz“. Dabei wurde dieses System durch einen der führenden Konzerne aus der Autoindustrie entwickelt. Das führt fast automatisch bei vielen Krankenhausärzten zu einer fast reflektorischen Gegenreaktion – „wir bauen doch keine Autos“. Dieser Einwand ist berechtigt, trifft jedoch nicht den Kern des Problems. Die Beispiele kommen aus der Autoindustrie, da die Mediziner noch keine vergleichbaren Erfolge vorweisen können. Eines der Hauptgründe dafür ist die Tatsache, dass LEAN-Projekte durch nicht-Mediziner getriggert und geleitet werden. Daher kann man den Einfluss dieser Projekte auf das „scharfe Prozessende“ nicht eindeutig beschreiben.

Ich bin Arzt, Risikomanager, Informatiker und LEAN-Manager zugleich. In meiner aktuellen Position als Risikomanager in einem Krankenhauskonzern habe ich sehr gute und inspirierende Erfahrungen mit den Methoden des LEAN-Managements gemacht und möchte diese Erfahrungen mit Ihnen gerne teilen. Ich bin fest überzeugt, dass Kanban, Andon und Co einen festen Platz in der Krankenhausroutine verdienen. Unter einer Voraussetzung: sie müssen verstanden und richtig eingesetzt werden.

Einen besonderen Dank möchte ich dem Herrn Jörg Gottschalk aussprechen. Er hat es geschafft mich mit dem „LEAN-Virus“ in seinem Workshop so anzustecken, dass ich mir dann die ganze Ausbildung zum cert. Lean-Manager zugelegt habe. Meine Beiträge sehe ich nur als eine Ergänzung seitens eines Arztes zum bestehenden regen Austausch zum Thema „LEAN-Krankenhaus“

Bis bald

Dr. Matvei Tobman

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